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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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mit dem Mann, ungefähr eine Stunde lang. Er ertrug es ohne ein Wort, mit dem Blick eines sehr traurigen kleinen Tiers. Und sie keifte, warf Dinge nach ihm, dass man sie erschießen mochte, so unverständlich waren die Worte, so schrill die Stimme. Dann wurde es meist zu dunkel in der Wohnung, die Stimme wurde leiser, und als Nächstes war zu beobachten, jeden Tag, wie der Mann und die Frau in merkwürdigen langen Hemden Hand in Hand zu Bett gingen. Man sah sie nur für einige Sekunden. Sie machten das Licht an, tapsten zu Bett und löschten das Licht wieder. Das war derZeitpunkt, an dem auch wir meist das Licht ausschalteten, ich mich zum Einschlafen nahe an den Mann legte und den kleinen Geräuschen lauschte, die schöner waren als alle, die ich kannte, weil sie einer machte, den man mochte, und weil er doch leben musste, um Geräusche zu machen, die mir ein Zelt bauten, in der Nacht.

Heute.
Morgen.
    Ich habe noch nie davon gehört, dass Alkoholiker besonders gerne erwachen.
    Sollte mich einer fragen, würde ich behaupten, dass der Morgen nach exzessivem Alkoholgenuss, hinter dem Munterwerden nach Totaloperationen und der ersten Nacht im Zelt nach der kompletten erdbebenbedingten Zerstörung des Wohnhauses, Platz drei der unangenehmsten Erwachenssituationen belegt.
    Ich liege in einem der Schlitze zwischen den schönen Fassaden der Hongkonger Hochhäuser, wie Bauchschüsse, diese schwarzen Korridore, der Blick in den Himmel versperrt von schmutzigen Klimaanlagen, Kabeln, am Boden Müllsäcke, seltsamer Untergrund, Dinge, die man nicht untersuchen möchte. Mein Kopf ruht auf einem schwarzen Müllsack, recht behaglich für die Umstände, die mir nicht klar sind, eine Decke auf mir, deren Herkunft mir völlig rätselhaft ist, ein Schuh ist alleine unterwegs, und blaue Flecken an meinen Armen, die da gestern noch nicht waren, aber wenigstens sind die Arme noch vorhanden. Ich taste meine Nierengegend nach frischen Operationsnähten ab, ungewiss jedoch, wo genau sich die Nieren befinden.
    Ratlos übergebe ich mich, weil es mir angemessen scheint. Meine Tasche und mein Geld sind noch da. Dafür liebe ich die Hongkonger. Sie packen Müllsäcke unter Touristenköpfe und stehlen nicht einmal Handtaschen. Davon, dass mich jemandvergewaltigt haben könnte, ist auch nicht auszugehen. Außer in Kriegsgebieten werden ältere Damen selten vergewaltigt.
    Meine Beine sind noch vorhanden, darum stehe ich auf. Zu meiner ausgeprägten Übelkeit gesellt sich ein summender, dumpfer Kopf und Schmerzen in allen Gliedmaßen. Meine Schlafstätte befindet sich an einer Straße, die mir vertraut ist, von hier kann ich in Minuten bei der Fähre sein. Beim Gedanken an ein Boot übergebe ich mich erneut, was mir sicher unangenehm wäre, sähe ich mich imstande, solcherlei differenzierte Gefühle zu entwickeln.
    Trotz der unangenehmen Begleitumstände ist der Zustand nach dem Alkohol unbedingt dem ohne vorzuziehen. Die Aufgabe, meine schuhlosen Füße voreinanderzusetzen und ein anmutiges Gesicht zu machen, ist erfüllend. Selbstredend ist die Bootsfahrt mit einem Kater genau so, wie jeder, der Erfahrung mit Überdosierung von Rauschmitteln gemacht hat, sich die Sache vorstellt. Ich verbringe die gesamte Überfahrt, ungefähr hundert Stunden, auf der Toilette.
    An Land bewege ich mich sehr unsicher, den Zustand überstandener Trunkenheit deutlich ausstrahlend. Keiner nimmt Notiz von mir. Die Chinesen haben sich an Ausländer am Rande der Katastrophe gewöhnt. All die ausgebleichten, rotgesichtigen westlichen Menschen, die verzweifelt versuchen, ihr Heimweh zu vergessen. Vergessen gibt es nicht. Ein gepflegtes Pegeltrinken muss erlernt werden. Ich bin zu dicht von Menschen umgeben. Die Alkoholvergiftung meines Körpers macht mich empfindlich, die Haut schmerzt, die Geräusche sind schrill, vielleicht bin ich zu lange hier und beginne die Gesichter zu lesen. Es sind für mich keine einfachen herzensgutenChinesengesichter mehr, ich sehe die Verbitterung um den Mund und die trüben Augen, und es hat doch keiner das bekommen, von dem er glaubte, dass es ihm zustünde, und wie er sich das Leben vorgestellt hatte als junger Mensch, so war es doch nie geworden.
    Ich ertrage das Übermaß an Informationen nicht, das durch zu große Klarheit entsteht, durch die Transparenz eines angeschlagenen Organismus. Wende den Blick zum Boden, der sich öffnet, und in seinem Schlund taucht eine riesige Flasche mit Teufelskopf auf. Kurz vor der Masseurwohnung, die zu

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