Der Mann schlaeft
betreten mir natürlich unangenehm bevorsteht, hole ich mir noch eine mittelgroße Flasche mit Alkohol. Keine Ahnung, um was es sich handeln mag. Vielleicht ist es Rattengift, dann wären die Würfel gefallen. Ich könnte eine Nationalhymne singen, den Arm zum Gruß heben und der Auflösung meiner Organe mit Freude beiwohnen.
Die Wohnung ist angenehm leer. Ich kann in mein Zimmer, da sich auch meine Sachen noch in den Schränken aufhalten und die Koffer nicht vor der Tür. Ich reinige mich, ziehe mir ein freundliches Nachthemd an und freue mich aufrichtig auf die neue Freundin, die mich erwartet. Während der ersten Züge studiere ich die Baupläne der Arche Noah, die mir, wie ich mich vage erinnere, irgendjemand zugesteckt hat, ein unbehagliches Gefühl begleitet den Versuch, mir vorzustellen, was gestern passiert ist.
Die Pläne enthalten, soweit ich sie verstehe, konkrete Anleitungen für den Bau eines strahlensicheren Boots aus Metallteilen. Und für den im Anschluss zu begehenden Suizid durch die Injektion von Kochsalzlösung in eine Vene.
Damals.
Vor drei Monaten.
Draußen herrschte ein schweres Gestürm. Das Meer klatschte über die alten Steinmauern, die Bäume lagen fast am Boden, durch die Gasse wehten losgerissene Kochtöpfe und Wäschestücke. Es stand außer Frage, den Tag im Bett zu verbringen, und ausgelost musste nur werden, wer etwas zu essen holen würde.
Natürlich der Mann, denn er ließ mich nie etwas holen, tragen, verrichten, zu dem ich keine Lust hatte.
Als wir noch lagen und in den Sturm schauten, wurde mir die einfache Formel meines Glückes klar: Ich fühlte mich nicht. Weder empfand ich mich als überraschend originell oder störend, ich hörte meine Stimme nicht, überprüfte meine Scherze nicht, ich war einfach da, in einer wesenlosen Form, die ich vielen wünschte.
Der Mann hatte die Wohnung verlassen, und ich sah ihm nach. Seine roten Haare leuchteten über all den dunklen, nassen Köpfen, es schien, als bewegten sich alle anderen in der doppelten Taktzahl. Ich hatte Mühe, ihn nach wenigen Metern noch zu erkennen, in schweren Böen trieb mir Regen ins Gesicht, der Sturm zerrte an den Fensterflügeln, und ich begann, mich nach fünf Minuten Abwesenheit des Mannes um ihn zu sorgen. Er hätte ins Meer geweht werden können oder von einem Dachziegel erschlagen, die Welt draußen war ein Hort der Gefahren, und einigermaßen sicher fühlte ich mich nur, wenn er neben mir war und ich ihn anfassen konnte.
Nach den vier Jahren, in denen ich mich ausschließlich mit der neuen Form meines Lebens beschäftigt hatte, nach dauerndem Glück und großer Zufriedenheit, öffnete sich die Erde ab und an wieder und zeigte mir, was sich in ihrer Mitte befand. Mein altes Leben, die ermüdenden Muster und Gedanken, die zu nichts führten außer zu tiefer Verzweiflung und dem Wunsch, sich in einen Lurch zu verwandeln. Ich starrte auf die Gasse, keine roten Haare zu sehen, nur Menschen, die vorübertrieben, sich mit Mühe auf den Beinen hielten.
Sieben Minuten nachdem der Mann die Wohnung verlassen hatte, kam es unten zu einer großen Aufregung. Wie aus dem Wasser tauchte aus dem Regen, der senkrecht in den Himmel stand, eine Gruppe dunkel in Ölzeug gekleideter Chinesen auf. Sie trugen einen leblosen Körper durch die Gasse der Passanten, die sich bildete; durch das aufgeregte Tuscheln liefen sie, fast im Gleichschritt, die Gesichter abgewandt, um schließlich an der Tür der Dame, deren Leben wir täglich beobachteten, zu klopfen. Ich sah, wie die Frau im ersten Stock von ihrer Nähmaschine aufsprang, aus dem Zimmer rannte, die Tür öffnete und sich schreiend über den leblosen Körper warf. Es musste sich um ihren Mann handeln, er war nicht zu erkennen, im Ölzeug und mit dem vermutlich von einer Schiffsschraube zerstörten Gesicht. Noch eine Weile standen die Passanten und die Fischer um die Frau, die Leiche, der Regen hielt für ein paar Sekunden still.
Ich ahnte plötzlich, dass sie mit dem Gezeter, das sie an den Abenden zuvor erzeugt hatte, mit dem Geschreie und Geschimpfe versucht hatte, das Schicksal zu betrügen.
Es hatte ihr nicht geholfen.
Natürlich nicht, den Schmerz kann man doch nicht in kleinen Dosen im Voraus konsumieren, ihn abschwächen, nichts macht das Elend erträglicher, das einen befällt, wenn eintritt, wovor man sich immer am meisten gefürchtet hat.
Kurz nach dieser Szene, die Polizei war unterdes eingetroffen, kam der Mann mit dem Essen zurück. Er wunderte sich
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