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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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vielleicht über die Tränen, mit denen ich ihn begrüßte, er wunderte sich und war nass. Er war nur nass geworden. Man konnte ihn abtrocknen.

Heute.
Mittag.
    Der Masseur liest die Bauanleitung der Arche Noah und trinkt währenddessen von meinem Alkohol. Wir haben vermutlich beide gut einen im Tee, am Boden befinden sich alte Küchengeräte, denn vor einer halben Stunde, nach dem fünften Glas, kam der Masseur auf die Idee, die Arche nachzubauen. Jetzt liegen Rührlöffel auf dem Boden, und ich verstehe nicht, warum wir erst ein Boot bauen müssen, um uns danach mit Salzlösung umbringen zu dürfen. Aber vielleicht muss man sich die guten Dinge verdienen, so wie ein delikates Essen mit einer anstrengenden Wanderung und einen albernen Urlaub mit einem Jahr deprimierender Bürotätigkeit. Da sitzt der Mensch, wenn er nicht Archen baut, und träumt von Ursprünglichkeit, von einer Farm in Afrika, vom Überwintern auf Mallorca, einem Rentnerdasein im Grünen, das er sich aber erst mit einem widerwillig verbrachten Leben verdienen muss.
    Da das Kind erst am Nachmittag aus der Schule kommen würde und der Masseur zu betrunken zum Massieren ist, gehen wir an den Strand, um dort nachzudenken, auf meine Bank, die zweite Flasche unbestimmbaren Alkohols zwischen uns. Das Meer ist grau verhangen. Ob es Haie gibt hier, wir sind ja in China, in den Tropen, irgendwo weit unten, wo Haie leben, und ob es wohl schnell geht, das Gefressenwerden?
    »Ich habe sie nie wahrgenommen«, sagt der Masseur, er pausiert kurz, wie um die Atmosphäre zu prüfen, ob sie genugPlatz bietet, und ich richte mich auf einen trunkenen Monolog ein, der dann auch beginnt.
    »Sicher waren wir irgendwann verliebt gewesen, als wir sehr jung waren, aber ich kann mich daran nicht erinnern, es ist wie mit einer Grippe, man kann sich nicht an die Gefühle des Krankseins erinnern, wenn man genesen ist, wissen Sie, was ich meine?« Ein kurzes, stilles Nicken, mehr Einsatz ist nicht gefragt, und leise fährt er fort. »Wir sind zusammengezogen, nach der Heirat, ich habe meine Massagepraxis aufgemacht, sie hat in der Stadt gearbeitet. Bestimmt waren da aufregende Momente, sicher waren da geschlechtliche Dinge, die großartig waren, ich war ja jung und sie meine erste Frau, sicher gab es das Gefühl, das Leben begänne und wir könnten alles erreichen. Aber ich habe es vergessen. Erinnern kann ich mich an die Geburt unserer Tochter. Ich hätte fast geweint. Ich war in dem Maße aufgewühlt, wie man es nur ist, wenn man der Geburt von Schildkröten oder Ähnlichem zusieht. Eine Naturgewalt. Neues Leben. Die Trauer erreichte ich erst später. Als die Frau mit dem Kind nach Hause kam, denn das bedeutete, dass die Jugend vorüber war und ich nun ein Erwachsener und dem Ende näher. Obwohl mir doch Frau und Kind hätten nah sein müssen, spürte ich mich doch nur selber. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich im Zweifel immer für das eigene Überleben entscheiden würde und nicht für das der Frau oder des Kindes, wenn der Tod denn fragen würde. Nach den ersten Monaten der Eingewöhnung herrschten vermutlich Aufregung und Angst, so ein kleines neues Menschenleben, eine niedliche Familie, wie sie sich einrichtet, sich für einzigartig hält, wie sie kämpft gegen den Rest der Welt. Wie man doch glaubt, als Einziger heilig zu sein. Und wieschnell die Zeit vergeht und sich alles abnutzt. Die Tochter begann, am Abend wegzugehen, daran mag ich mich erinnern, an das: Die Tochter geht am Wochenende allein weg, und an den Schock, mich sitzen zu sehen mit der Frau und zu warten, und ein imaginäres Strickzeug schwebte im Raum, und wir waren alt geworden. Über Nacht von einem jungen Paar mit Kind zu einem alten Paar, das auf die Tochter wartet. Sehr weit entfernt die Zeit, als wir uns täglich berührt und umarmt hatten. Irgendwann waren wir uns so zu Gegenständen geworden, und völlig unmöglich, einander anzufassen. Da war ein Meer zwischen uns. Keine freundliche Stimmung, sondern gar keine. Und meine Gefühle für meine Frau waren dieselben, die ich für das Haus empfand, das wir irgendwann gekauft hatten. Dass sie mir so fehlen würde, habe ich erst gemerkt, nachdem sie weg war, die Leichenträger sie abgeholt hatten und es so still war, dass es mir in den Ohren schmerzte. Da merkte ich erst, dass alles von ihr durchdrungen gewesen war, die Blumen in der Wohnung, der gute Geruch, die Wärme des Bettes, alles war sie gewesen, und ohne sie war es nur kalt und Beton. Es ist so

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