Der Mann schlaeft
furchtbar langweilig, zu erkennen, dass man ist wie alle anderen. Mit dieser Dummheit, erst im Nachhinein zu begreifen, wie gut man es gehabt hatte, wie sehr man einen Menschen geliebt hat, wie unwiederbringbar so ein Leben ist und der glückliche Umstand, dass einer da war, der zu einem gehalten hat. Als sie weg war, meine Frau, fielen mir alle Situationen ein, die ich vorher nie bewusst genossen hatte. Wie lieb sie zu mir gewesen war, wenn ich krank war. Wie sehr sie an mich geglaubt hat und mir vertraut hatte. Sie hatte mir das Gefühl gegeben, wichtig zu sein. Als Mann, als Vater, als Ernährer dieser kleinen albernen Familie. Danachwar nur noch ich, ein alter Mann mit einem Massagesessel. Die Erbärmlichkeit wird einem nur allein klar. Der richtige Mensch macht uns all die Anmaßung vergessen, mit der wir normalerweise ausgestattet sind, diese dumme Frage nach dem Sinn, der eigenen Wichtigkeit und der Drang, Spuren zu hinterlassen, das fällt einem nur ein, wenn man sich alleine fühlt.«
Der Masseur schweigt. Es ist wohl alles gesagt, und mir fällt nichts ein, als durch den Alkohol gelockert meinen Arm um ihn zu legen, was ich sonst nie gewagt hätte. Er ist kein Mensch, den man schnell berührt, aber mit einigen Promille im Körper fühlt es sich angenehm an. Der Masseur küsst mich plötzlich. Dann sitzen wir schweigend nebeneinander, das Meer ist völlig in einer Regenwolke verschwunden, die Insel löst sich im Universum auf.
Damals.
Vor weniger als drei Monaten.
Als hätte es kein Gestern gegeben, weder ein totes Schwulenpaar, weder den Sturm noch den toten Fischer und seine Frau, die vermutlich starr auf dem Bett lag, den Regen nicht und den Weltuntergang nicht, war der Tag ein sauberer, sonniger, frischgewaschener, der den Menschen mit großer Gleichgültigkeit zeigte, was sie bedeuten.
Der Himmel war zu blau an diesem Tag, weit hinten schoben sich vom chinesischen Festland gelbe Wolken zusammen. Das wollte ja keiner zu genau wissen, was das heißt, eine Million Auto-Neuzulassungen wöchentlich und die Sonne nie sehen können wegen des ungebremsten Willens, reich zu werden. Mit allem, was das beinhaltet. Es war ein Donnerstag, der Tag, an dem in einem Kiosk in Hongkong eine Woche alte Magazine von zu Hause erhältlich waren, die ich mir immer gekauft hatte, weil ich zunehmend Sehnsucht nach Vertrautem spürte, die kurz durch das Studium bekannter Prominentengesichter gestillt worden war.
Ich war träger Stimmung, wollte im Bett bleiben, zugleich wusste ich, dass meine Laune nicht besser würde, denn es schien ein sehr heißer Tag zu werden, ich würde schwitzen, der Rücken würde schmerzen, vielleicht bildeten sich offene Stellen, in die Tiere kröchen.
Ich wollte keinen Ausflug machen, wollte nicht im Bett bleiben, wollte keine Nudeln mehr, und vielleicht war nach drei Wochen einfach die Zeit gekommen, da ich mich nachHause sehnte, um wieder etwas zu essen, das dem Kiefer Widerstand bot, Winterbekleidung zu tragen und kalte Hände zu haben, denn wenn man schon im Genuss vorhandener Gliedmaßen ist, sollte man sie wenigstens von Zeit zu Zeit in einem anderen Zustand als dem durch Hitze geschwollenen kennenlernen. Ich war eindeutig schlechter Laune, und wie immer, wenn ich schlechter Laune war, stand der Mann hilflos vor mir, die komplizierten Vorgänge in meinem chemischen Haushalt nur unzureichend nachvollziehen könnend.
Die Sonne schien, wir waren zusammen, unsere Gliedmaßen, wenn auch geschwollen, vorhanden, in seinem Universum bestand kein Grund für eine Verstimmung, er konnte sich nicht vorstellen, wie ich mich warum fühlte, und er wusste nicht, wie meiner Laune beizukommen war.
»Ich fahre rüber und hole dir neue Zeitungen und bringe ein bisschen ehrliches Brot mit«, schlug er vor und traf damit genau den Kern meines Heimwehs.
Die praktischen Angebote des Mannes, mich aus meiner schlechten Laune zu befreien, hatten bislang immer zum Erfolg geführt. Er holte Lieblingsessen, brachte Filme, fuhr mich zu Massagen oder durch Umgebungen, und nie wollte er mit mir über den Grund meiner Verstimmung reden. »Willst du wieder sterben?« war seine Standardfrage, wenn ich ihn aus Augen wie erloschenen Kratern ansah.
Ja und nein, dachte ich dann immer, denn ein gepflegtes sofortiges Ende schien immer eine Möglichkeit, die ich herzlich willkommen geheißen hätte; allein ich war mir der Verantwortung bewusst, die man für einen anderen übernimmt, wenn man das Bett mit ihm teilt. Ich konnte
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