Der Mann schlaeft
nicht einfachsterben: Was sollte der Mann ohne mich tun?, fragte ich mich in großer Selbstüberschätzung oder einfach in der Hoffnung, dass ich ihm so wichtig war wie er mir.
»Ich bin in zwei oder drei Stunden wieder da«, sagte der Mann, ich klammerte mich an seine Beine und wimmerte: »Geh nicht, verlass mich nicht.« Auch so ein Ritual, das wir wechselseitig vollzogen, bei jedem Abschied. Wir hielten uns kurz, dann ging er die Treppe hinunter, und ich winkte ihm aus dem Fenster hinterher, sah, wie er aus der Masse herausragte, weil er war, was mein Leben ausmachte.
Meine Laune wurde besser, weil ich wusste, dass ich einen Menschen hatte, der nicht da war, aber zurückkehren würde. Ich las etwas, das vor meinen Augen verschwamm, die Sonne fiel in den Raum, und ich in einen leichten Schlaf. Ich träumte von Tieren, die im Kreis um mich saßen wie Chirurgen und sich leise besprachen. Es ging um eine Hirnoperation. Als ich erwachte, war die Sonne schwächer geworden, es war Nachmittag, und irgendwas beunruhigte mich. Ich ging in die Küche, machte mir Kaffee, um munter zu werden, und dann fiel mir auf, was nicht stimmte. Es war die Zeit. Der Mann war seit vier Stunden weg.
Vermutlich suchte er Brot oder eine Überraschung, oder er saß in einem Café, vielleicht genoss er es einfach, einmal ohne mich zu sein.
Vier Stunden waren wenig, bedachte man, dass allein die Überfahrt zwischen zwanzig und vierzig Minuten dauerte, abhängig davon, ob man ein Schnellboot nahm. Ich versuchte mich zu beruhigen, anzugehen gegen die Angst, ihn in einer fremden Stadt zu wissen, in einem unvertrauten Land.
In den letzten Jahren hatten wir keinen Tag ohneeinanderverbracht, entgegen allen gutgemeinten Ratschlägen Alleinstehender, wider die zeitgemäße Auffassung, dass Symbiose krankhaft und Partnerlook der Gipfel an Peinlichkeit war.
Viereinhalb Stunden, und wieder hatte eine Fähre angelegt, auf der sich der Mann nicht befand.
Heute.
Nachmittag.
Der Masseur und ich gehen, umgeben von einem Schweigen, dem nichts Vertrautes innewohnt, zurück in die Wohnung. Zwei Einsame, die sich kein Trost sein können; nur mehr Trauer erzeugen die Schritte des Anderen, weil da einer ist, der erst deutlich werden lässt, dass es sich um den falschen Menschen handelt, der neben einem läuft, ängstlich darauf bedacht, dass sich die Körper nicht berühren.
»Wir könnten es doch einfach versuchen«, sagt der Masseur. Ich weiß natürlich, was er meint. Zusammenleben, beobachten, ob wir uns aneinander gewöhnen, uns liebgewinnen, zusammen einschlafen, alt werden, sterben. Das volle Programm.
»Ich denke darüber nach«, antworte ich und denke darüber nach. Es fällt mir nichts ein, denn da herrscht eine Wut in mir über die absurde Idee des alten Chinesen, seinen Übergriff, über die Vorstellung, ich würde nach ein paar Wochen meinen Mann vergessen, mein Leben wegpacken, in eine Kiste, und hier weitermachen, in einer Welt, die mich nichts angeht und in der ich nach drei Wochen noch nicht einmal mehr Touristin hatte sein wollen.
Kim ist bereits zu Hause. Sie sieht uns an, als ob es da etwas zu sehen gäbe, mit diesem Blick, den Kinder zuweilen beherrschen und der einem Erwachsenen ein schlechtes Gefühl gibt, ohne dass man wüsste, welchen Vergehens man sich schuldig gemacht hat. Irgendwo tief unten, in dem Bereich, den manungern betritt, findet man immer ein Unrecht, das man Kindern angetan hat, einfach weil man es kann und weil Kinder sich nur unzureichend zu wehren vermögen, außer es handelt sich um Kindersoldaten.
Der Masseur verschwindet lautlos und elegant in seinem Zimmer, nachdem er uns in eine Situation gebracht hat, in der allen Beteiligten unwohl ist.
Über der Veranda vor meinem Raum hängt das Außen gelb, sehr tief, fast zum Berühren, aber anfassen will man das nicht.
Die Situation wird immer weniger steuerbar. Mein Leben, für das ich nie einen Plan entwickelt hatte, völlig entbeint zu sehen hat etwas sehr Jämmerliches. All die Dekoration, die wir um unsere Grundbedürfnisse errichten, das Sich-gepflegt-Ankleiden, der Sport – »seit ich Marathon laufe, bin ich wie ausgewechselt«, »Kyudo hat mich Disziplin gelehrt und Respekt« –, es geht um den Fluss, nicht um das Ziel, den Moment reiner Konzentration, und die Kunst, wie können wir ohne Kunst überleben, ohne die Versuche, mehr als ein Mensch zu sein, uns aufzulösen, den Körper zu verlassen, mit all seinen unangenehmen Bedürfnissen.
Die schlechte
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