Der Mann schlaeft
Neuigkeit: Der Körper gewinnt. Immer.
Kim hat sich neben mich gesetzt.
Der Himmel hat sich noch tiefer gehängt, unsere Köpfe befinden sich in gelbem Dunst.
»Es war mir klar, dass Großvater dich mag, als er die Idee mit dem Ausflug hatte. Seit ich ihn kenne, war er nicht mehr in der Stadt. Nachdem du verschwunden warst, hat er dich die ganze Nacht gesucht. Irgendwann hatten wir dich gefunden, und Großvater deckte dich zu und machte es dir bequem.Er wollte dich nicht wecken, damit du dich nicht schämen musst.«
Ich reagiere nicht, also fährt das Mädchen fort.
»Eine Frau im Haus verändert die Stimmung, denn die Unbeholfenheit der Männer macht einem als Kind schon zu schaffen. Mir ist unwohl, wenn ich mit einem Mann alleine bin. Ich fühle mich verantwortlich, ihn zu unterhalten und zu pflegen und eine angenehme Atmosphäre herzustellen. Männer können hervorragend ohne jede Atmosphäre sein, und nur wir Frauen halten das nicht aus.«
Es scheint, dass Kinder heute intelligenter sind als Erwachsene. Ich habe keine Ahnung, denn ich verkehre selten mit ihnen. Vielleicht ist auch nur Kim so eine merkwürdige kleine Studienrätin, doch ehe ich zu einem Schluss komme, fährt sie fort.
»Würde man einen Mann fragen, ob er unsere Bemühungen überhaupt bemerkt, er würde abwinken. Also heißt es, ihr Phlegma macht nur uns zu schaffen. Es ist unser Problem. Es ist unser Anliegen, uns mit dem Mann auszutauschen und es warm und behaglich zu haben. Und so können wir immer nur verlieren, weil wir eine Dienstleistung anbieten, die gar nicht gefragt ist. Bei zwei Frauen in einem Haushalt ändert sich das Gewicht. Der Mann verstummt noch mehr, aber seine Energie ist nicht mehr so spürbar. Diese schwere, schlechtgelaunte Männerenergie.«
Ich frage Kim nicht, mit wem sie ihre Erfahrungen gemacht hat, doch sie erzählt von alleine weiter.
»Nach meinem leiblichen Vater hatte meine Mutter immer wieder mal Freunde, einer war ein Milliardär. Eigentlich eine interessante Erfahrung für ein junges Mädchen, sollte manmeinen. Der Mann stellte nichts her, soweit ich weiß, sondern er machte Geld mit Dingen, die es nicht gibt. Optionen, Aktien, Erdölanteilen, und sein Geld machte noch mehr Geld. Es vermehrte sich ohne sein Zutun. Er wohnte unter anderem in einem Penthouse, auf dessen Dach ein Hubschrauber landen konnte. Auf seiner Yacht konnte er das auch, in seinem Haus in Thailand, wo wir einmal waren. Es schien mir unüblich, dass solche Männer sich für eine Frau mit Kind interessieren, aber man soll Milliardäre nicht alle in einen Topf werfen. Meine Mutter hatte damals eine Ausbildung begonnen, überall fand ich Lehrbücher und Hefte, deren Inhaltspunkte ich bis heute nicht vergessen kann: Ausbildung des Lichtkörpers, Ausbildung der Hellsichtigkeit, Klärung alter Muster und Glaubenssätze, Heilen auf höchster göttlicher Schwingungsebene, Wunscherfüllungen, Ausdehnung des Herzens und der Liebe. Es ist mir bis heute unerklärlich, was sie da tat, aber vielleicht war es gerade das, was sie mit dem reichen Mann verband, denn er entwarf zwischen all seinen Anweisungen Ufos zur Weltrettung.«
Auf einmal verstehe ich den atemlosen Vortrag des Kindes. Kim redet um ihr Leben. Sie denkt, wenn sie die Stille mit ihren Gedanken füllt, hätten meine keinen Raum mehr.
Sie will, dass alles gut wird, ich hierbleibe und mit dem Masseur Vater und Mutter spiele. Sie will in Ruhe wachsen und sich nicht über die seltsame Welt der Erwachsenen Gedanken machen müssen. Sie macht mich ratlos.
Damals.
Vor weniger als drei Monaten. Nach fast fünf Stunden Abwesenheit des Mannes.
Wenn wir getrennt waren, zu Hause, wusste ich immer recht genau, was der Mann tat, in der Holzfabrik oder bei irgendwelchen Bäumen, auf Grundstücken, die mir vertraut waren. Ich hatte eine Vorstellung davon, wo er sich aufhielt, wenn er etwas vom Asiaten holte oder wenn er auf dem Markt war. Wir gingen gemeinsam zum Briefkasten, ins Bad, in den Garten, zum Doktor, in die Apotheke, selbst den Gang in den Keller planten wir zusammen, vermutlich, weil wir alt werden und noch möglichst viel Zeit miteinander verbringen wollten, ehe wir Ewigkeiten getrennt in Gräbern verbrachten.
Wie wir alle glaubten, als einzige Glück gehabt zu haben, mit unseren kleinen Familien, und verdrängten, dass es Milliarden heiliger Familien gibt, die sich halten und in der nächsten Sekunde tot sind, aus irgendeinem banalen Grund.
Ich musste raus, musste auf die Straße,
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