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Der Mann von Nebenan

Der Mann von Nebenan

Titel: Der Mann von Nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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ganz in der Nähe. Sie hatten sich in den letzten Jahren selten gesehen, aber regelmäßig miteinander telefoniert.
    Ob sie um diese Zeit noch bei ihr stören konnte? Natürlich hätte sie einfach wieder ein Hotelzimmer nehmen können, aber plötzlich überfiel sie eine heftige Sehnsucht nach menschlicher Nähe.
    Kate sah auf die Uhr. Es war fast eins. Sie gab sich einen Ruck, ging zum Telefon und wählte die Nummer. Es klingelte nur zweimal, dann meldete sich eine männliche Stimme. Kate atmete erleichtert auf.
    »Hallo, Peter, hier ist Kate! Bitte entschuldige die späte Störung, aber ich bin hier bei euch in der Nähe und habe ein Autopanne.«
    »Kate! Was für eine Überraschung! Du hast Glück, wir hatten bis gerade eben Gäste und sind noch wach. Wo kann ich dich abholen?«
    Kate nannte den Namen der Tankstelle und hängte erleichtert ein. Zwanzig Minuten später bremste ein Auto vor dem Automatenrestaurant.
     
    »Also, erzähl! Wie ist es dir so ergangen in letzter Zeit?« fragte Annette beim Frühstück. »Ist ja ’ne Weile her, daß wir gequatscht haben!«
    Peter hatte sich gegen neun in den Dienst verabschiedet; er war bei der Polizei. Die zwei Frauen waren in der Küche sitzen geblieben.
    Kates Antwort ging in Kindergeschrei unter. Drei stimmstarke Zwerge zwischen drei Jahren und sechs Monaten setzten alles daran, keine Unterhaltung zustande kommen zu lassen. Es gab keinen Moment, in dem Annette nicht mindestens ein Kind auf dem Arm hielt, eine Rotznase abwischte, ein Babyfläschchen verabreichte oder auf dem Boden nach einem vermißten Spielzeug fahndete. Dazwischen wuselte auch noch ein lebhafter, junger Hund herum. Kate spürte, wie sich eine gewisse Ungeduld in ihr breitmachte; sie hätte sich so gewünscht, in Ruhe mit ihrer Freundin reden zu können.
    »Wie hältst du das bloß aus?« fragte sie mitleidig.
    »Das frage ich mich auch«, feixte Annette, »aber ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich kann mich kaum noch erinnern, daß ich mal ein Leben als berufstätige Frau geführt habe. Daß ich in gepflegte Restaurants gegangen bin, schicke Klamotten getragen und Wert auf mein Äußeres gelegt habe. Und jetzt, schau mich an!«
    In komischer Verzweiflung wies die Freundin auf ihre verknitterte Schürze, den Milchfleck auf ihrem Pullover und den Matsch aus Brotstücken und übergeschwapptem Joghurt auf dem Küchentisch.
    »Fehlt dir dein Job nicht?«
    Annette hatte als Journalistin für verschiedene Zeitschriften gearbeitet, war viel gereist, hatte gut verdient. Kate erinnerte sich, daß ihr der Beruf immer extrem wichtig gewesen war. Als Samuel auf die Welt gekommen war, hatte sie kategorisch verkündet: »Kinder? Niemals!«
    Nachdenklich stützte Annette das Gesicht in die Hände.
    »Was soll ich dir sagen? Natürlich fehlt mir mein Job! Trotzdem liebe ich meine Kinder. Es hat mir nur leider noch keiner verraten, wie ich beides unter einen Hut kriegen soll.«
    Plötzlich wurde ihnen bewußt, daß es ganz still geworden war. Das Baby war in seiner Wippe eingeschlafen, das mittlere Kind beschäftigte sich mit einem bunten Plastikspielzeug, das älteste war verschwunden.
    »Schlechtes Zeichen.« Annette grinste und verließ das Zimmer, um der Ursache für die ungewohnte Ruhe auf den Grund zu gehen.
    »O nein!« ertönte es gleich darauf aus dem Nebenzimmer. Annette kam mit ihrer Tochter auf dem Arm in die Küche zurück. Hinter sich her zog sie den Hund, der aussah wie ein gerupftes Huhn. Sein Fell wies zahlreiche Löcher auf, ganze Haarbüschel lösten sich, als Annette mit der Hand über seinen Rücken fuhr.
    »Haare gesnitten«, verkündete die Dreijährige stolz, und Annette verdrehte die Augen. Kate mußte sich schwer zusammennehmen, um nicht in prustendes Gelächter auszubrechen.
    Annette verzichtete auf eine Strafaktion, weil das nur zu erneutem Geschrei geführt hätte. Sie gab dem Kind eine Breze, und endlich gelang es Kate, zumindest eine Kurzfassung der jüngsten Ereignisse zu liefern.
    Ihre Freundin hörte aufmerksam zu, während sie an einem Hörnchen knabberte.
    »Du Ärmste«, sagte sie mitfühlend. »Du mußt da unbedingt weg!«
    Kate erklärte ihr, warum ein Umzug nicht in Frage käme.
    »Dann mußt du dich wehren«, sagte Annette energisch, »sonst macht er dich kaputt. Wenn du dich dem Terror nicht entziehen kannst, mußt du zum Gegenangriff übergehen.«
    »Aber wie denn? Ich kann doch nicht anfangen, seine Pflanzen zu vergiften oder wegen irgendwas zu prozessieren.

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