Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
Vom Netzwerk:
besagten Liste auf den Markt, dann müsse man sich in Worpswede warm anziehen, erklärt Rudolph voller Zuversicht.
    Als es im nächsten Frühjahr immer noch nicht erscheint und Ohlrogge auch gelesen hat, dass Dr. Rudolph Teile seiner Mackensen-Broschüre nur in einem Preisausschreiben über norddeutsche Heimatforschung unterbringen konnte, da beginnt er selbst Kopien von der Liste zu machen und sie an Zeitungen zu schicken, aber die Liste wird nicht abgedruckt. Weder in den Hamme-Nachrichten, noch im Weser-Kurier oder im Osterholzer Anzeiger. Er läuft daraufhin durch Worpswede, um die Liste selbst publik zu machen. Er hängt sie an die Tür von Stolte, dem Lebensmittelgeschäft. Er bringt sie im Kaffee Worpswede an. Im Gasthof zum Hemberg. Und im Barkenhoff, aber überall hängt seine Liste höchstens zehn Minuten. Kaum hat er die Räume verlassen, verschwindet auch die Liste.
    Ohlrogge entscheidet sich nun für andere Plätze. In der Marcusheide hängt er sie an die Birken. Auf dem Weyerberg legt er sie auf Parkbänken aus. An der Hamme klebt er sie an die Brückenpfeiler. An den Ortseingängen über die weißen Schilder, auf denen STAATLICH ANERKANNTER ERHOLUNGSORT steht, aber auch hier hält sie sich nicht lange. Es ist, als gäbe es in Worpswede nicht nur ständige Wachposten, die das Liebesleben der Worpsweder Töchter überwachen, sondern auch Wachposten, die Worpswede rund um die Uhr von der Liste säubern, die an eine unschöne Vergangenheit erinnert.
    Einmal versteckt er sich hinter einem Baum unweit eines staatlichen Schildes, über das er seine Liste geklebt hat, und wartet auf die Wachposten. Nach einer Stunde, in der niemand gekommen ist, tritt er vor das Schild, doch die Liste ist weg. Nur STAATLICH ANERKANNTER ERHOLUNGSORT kann man wieder lesen. Es ist gespenstisch.
    Am Ende nimmt er seine Liste und steckt sie in irgendeine der Kisten, die Johanna und ihr Vater damals lieblos gepackt und auf den Teufelsmoordamm abstellt haben. Zweimal telefoniert er noch mit Anton Rudolph, dann bricht der Kontakt ab.
     
     
    Peter Ohlrogge hatte die Wiese ein Dutzend Mal hin und her und kreuz und quer durchschritten oder umrundet, sodass die Wellbrock-Kühe dazu übergegangen waren, das seltsame Verhalten des Mannes hinzunehmen und wieder in ihre normalen Abläufe zurückzufinden. Sie kauten in aller Ruhe ihr Gras, als Ohlrogge mitten unter ihnen stoppte.
    »Nun hört mir mal zu!«, sagte er in die Abenddämmerung hinein und sah dabei auf seine mit Kuhfladen verklebten Hausschuhe. »PAUL KÜCK WIRD NICHT KÜNSTLER DES JAHRHUNDERTS! IHR WERDET NOCH ALLE AN MICH DENKEN!«
    Es war nur noch eine Kuh, die ihn, ohne zu kauen, ansah.
     

Paul sitzt im Café Central, erinnert sich an fremde Schlafzimmer und alte Marie-Fragen (Dann kommt der Mann mit der Würde)
    Nach dem Fund im Moor war es bald Abend geworden und Paul flüchtete vor der Ausgrabung in das Café Central.
    Es hatte sich kaum verändert. Immer noch die kleinen Tische unter den stützenden Holzpfeilern, der knarrende Boden, die blauweißen Heinrich-Vogeler-Tassen. Früher saßen hier die Jugendlichen, warteten, kifften und überlegten, ob sie Maler, Drogenhändler oder Bankangestellter werden wollten.
    Paul setzte sich in die hinterste Ecke, wo er früher immer gesessen hatte, atmete durch und schaute ins leere Central. Konnte er sich noch an das Gefühl von damals erinnern, alles vor sich zu haben: ein offenes, beginnendes Leben, Worpswede hinter sich lassend, ein Leben ohne die Kücks, ohne Moor, irgendwo in einer Weltstadt, mit gepflasterten Plätzen, Tausenden von Cafes, Frauen, Möglichkeiten?
     
    Der reinste horror zu hause! Bitte melde dich! Oder hältst du unsere fernbeziehung teufelsmoor - barcelona für sinnlos? Dann sag es doch! P.
     
    »Habt ihr Latte Macchiato?«, fragte er den bärtigen Kellner, nachdem er Christina die SMS gesendet hatte.
    »Tasse Milchkaffee. Kein Problem«, antwortete der Mann.
    »Nee, Espresso mit Milch. Im Glas. Keine Tasse. Und oben Milchschaum drauf, Latte Macchiato«, erklärte Paul.
    Er nahm sich die Zeitung, die auf dem Nebentisch lag, und las im Lokalteil noch einmal die Meldung über seinen Großvater. Er blätterte die ganze Zeitung durch, um zu prüfen, ob die Meldung über den Künstler des Jahrhunderts auch in den überregionalen Nachrichten stand.
     
    Einmarsch der USA in Bagdad Unruhen im Kongo
    Deutschland sucht den Superstar (RTL kündigt neue Staffel an)
     
    Über seinen Großvater und den »Künstler des

Weitere Kostenlose Bücher