Der Marathon-Killer: Thriller
Beerdigung ihres Vaters in ihrem Abschlussjahr allein der Mutter gegolten hatten.
Fielding stand vom Schreibtisch auf, reckte sich und blickte aus dem Fenster, wo die ersten Flugzeuge Richtung Heathrow die Stadt aus dem Schlaf weckten. Es klopfte an der Tür, und Otto, der bereits für drei Chefs als Butler gearbeitet hatte, brachte eine Kanne türkischen Kaffee, ein Körbchen mit warmem Fladenbrot und ein bisschen Labneh , Frischkäse aus Joghurt. Fieldings Dienstzeiten im Ausland hatten ihre Spuren bei seinem Geschmack hinterlassen.
»Nehmen Sie sich doch ein bisschen frei, Otto«, sagte Fielding. »Sie haben bis spät in die Nacht gearbeitet und sind jetzt schon wieder so früh hier.«
»Keine Ursache, Sir. Der Diensthabende hat mich angerufen. Er hat gesagt, Sie seien die ganze Nacht aufgeblieben.«
»Mit einem kleinen Unterschied: Ich werde hervorragend
bezahlt, damit ich die Nacht durcharbeite, und Sie nicht«, erwiderte Fielding und schenkte sich Kaffee ein. Er wusste, viele Neulinge beim MI6 in London schüttelten zunächst den Kopf, wenn sie hörten, dass im Haus ein Butler beschäftigt war, bis man ihnen erklärte, welchen praktischen Nutzen das hatte, wenn der Chef mit wichtigen Persönlichkeiten speiste. An den meisten Tagen der Woche nahm er seinen Lunch mit Politikern, hochrangigen Beamten oder Kollegen von anderen Diensten ein, doch ihre Gespräche waren zu vertraulich für die meisten überprüften Restaurants. (Der MI6 verfügte über eine Liste kleiner, abhörsicherer Lokale in der Londoner City.)
Otto stammte ursprünglich aus Jugoslawien. Er war in den späten Sechzigern nach London gekommen und hatte Englisch ausschließlich durch das Lesen der Spionageromane aus den Fünfzigern gelernt. Die veralteten Redewendungen waren im Laufe der Jahre nach und nach aus seinem Wortschatz verschwunden, doch gelegentlich überraschte er noch mit einem »Cin Cin«, einem »Verdammich« oder einem - der Favorit im Büro - »Wir sprechen uns wieder«. Fielding fragte sich manchmal, was die Umwelt damals von einem MI6-Chef gehalten haben musste, der sich von einem Butler aus Osteuropa bedienen ließ. Jetzt galt seine Nationalität hingegen nicht mehr als ungewöhnlich, aber auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs hatte sicher so mancher in Whitehall die Stirn gerunzelt.
»Alle gesund zu Hause?«, fragte Fielding, während Otto ein paar Becher von der vergangenen Nacht abräumte und zur Tür ging.
»Ja, Sir. Danke der Nachfrage. Mr. Denton ist da und möchte Sie sehen.«
Fieldings kurz aufgewalltes Mitleid für Leila verging so schnell, wie es gekommen war, als Ian Denton unrasiert und mit einem Kaffeebecher aus der Kantine in der Hand eintrat und ihn daran erinnerte, was ihre Arbeit für die Iraner in Großbritannien angerichtet haben mochte: Sie hatte nicht nur ihr Land verraten, indem sie eine Reihe von Terroranschlägen erleichterte, sie hatte außerdem die Karriere seines Vorgängers zerstört.
Fielding setzte Denton über die Entwicklungen der Nacht ins Bild und war zunehmend davon überzeugt, dass Leila der Maulwurf war, der den MI6 im vergangenen Jahr destabilisiert und Stephen Marchants vorzeitigen Rücktritt und somit indirekt seine Krankheit und seinen Tod herbeigeführt hatte. Großbritannien machte keinen Hehl aus seiner Ablehnung des iranischen Atomprogramms, und obwohl die Regierung nicht so weit ging wie die Amerikaner, die eine militärische Intervention forderten, wusste Fielding, dass gegenwärtig großzügig Regierungsgelder durch verschlungene Kanäle an Oppositionsgruppen, Blogger und Studenten im Iran flossen, solange diese nur den Regimewechsel unterstützten.
Er und Denton wussten allerdings auch, dass es eine Weile dauern würde, bis man Leilas Beteiligung an der Bombenwelle vor Marchants Rücktritt beweisen konnte. Man glaubte, hinter den Anschlägen stecke eine unbekannte Terrorzelle in Südindien, die Verbindungen zur Golfregion habe. Aber die Spur war kalt geworden, und die Karten der Netzwerkanalysten wiesen weiße Flecken auf. Die Terroristen waren dem MI5 wenigstens zwei
Schritte voraus gewesen und hatten so die Angst geschürt, dass sie Hilfe von innen erhielten. Die Rolle des MI6 hatte darin bestanden, die Überseeverbindungen zu erkunden, und Leila, die in der Sektion Golfregion im ersten Stockwerk des Hauptquartiers beschäftigt gewesen war, hatte dem Team angehört, das die Ermittlungen mit dem MI5 koordinierte. Im Nachhinein war alles so offensichtlich.
Südindien
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