Der Marktmacher
mein Vater sich aus dem Berufsleben z u rückgezogen hatte. Obwohl wir Ende April hatten, war es kalt. Bei Nord- oder Ostwind war es immer kalt. Viel lag nicht zwischen dem Haus und dem Nordpol. Meine Mutter und ich trugen dicke Strickjacken, mein Vater ein altes Sportsakko.
Ich hatte diese Bemerkung während einer Gesprächspause eingeworfen. Obwohl es eigentlich kein Gespräch war, eher ein Monolog, in dem mein Vater seine Liebling s themen abhandelte: Europa, alte Freunde aus der City, Lady Thatcher (stets mit »Lady«) und Kricket. Groß hatten sich die Theme n s eit meiner Jugend nicht verändert, alle r dings hatte er als sein bevorzugtes Haßobjekt, die Gewer k schaften, durch Europa ersetzt. Er aß und sprach gleic h zeitig, während sich sein flächiges, rotes Gesicht beim Kauen wulstig verwarf. Diese Unterhaltungen waren auf keinerlei Beteiligung von seiten meiner Mutter und mir angewiesen. Gelegentlich fragte ich mich, ob sie auch stattfanden, wenn die beiden allein waren. Doch ich ve r mutete, es geschah etwas viel Schrecklicheres: Tage, Monate, Jahre, in denen die Mahlzeiten ohne ein Wort eingenommen wu r den.
»Und? Was gedenkst du jetzt zu tun?« fragte mein Vater.
Das war das Stichwort, auf das ich die ganze Zeit gewartet hatte. Ich kaute noch ein wenig weiter und schaffte es schließlich, den Klumpen Schweinefleisch hinunterzuwü r gen. Mühsam zwängte er sich durch die Speiseröhre.
»Ich arbeite für eine Firma namens Dekker Ward«, sagte ich.
»Dekker Ward! Doch nicht die Börsenmakler?« Mein Vater legte die Gabel nieder und zeigte ein entzücktes Lächeln . » Sehr schön, mein Junge! Sehr, sehr schön.« Dann beugte er sich plötzlich nach vorn und schüttelte mir die Hand, was mich irgendwie peinlich berührte. »Kenne ich. Lord Kerton ist ein alter Freund von mir. Muß jetzt kurz vor der Pensionierung stehen. Hatten sich auf Plantagen spezialisiert, glaube ich. Jetzt muß da viel Geld zu machen sein, wenn man den richtigen Zeitpunkt erwischt. Oh, ja, viel Geld!«
»Ich glaube, der alte Lord Kerton ist tot, Vater.« Er legte Wert darauf, Vater genannt zu werden. »Jetzt ist sein Sohn Andrew Vorstandsvorsitzender.«
Mit neu erwachtem Behagen zog er an seiner Pfeife. Ich hatte für ihn den Tag gerettet. »Kann mich an keinen Sohn erinnern. War wahrscheinlich noch auf der Schule, als ich den Vater kannte. Trotzdem, schade um den alten Gerald. « E r nahm einen Schluck aus dem Glas mit Leitungswasser, das vor ihm stand. »Nun, mein Guter? Was hat dich denn endlich zur Einsicht gebracht?«
»Geld, Vater. Ich brauche das Geld.«
»Na, davon wirst du ja jetzt mehr als genug verdienen. Heute badet die City regelrecht darin. Ein intelligenter ju n ger Mann wie du bringt es dort zu etwas. Ich hole eine Fl a sche Wein. Das muß gefeiert werden.«
Währenddessen hatte meine Mutter mich mit leichtem Stirnrunzeln beobachtet. »Warum?« formten ihre Lippen lautlos.
»Weil ich pleite bin«, gab ich ihr auf die gleiche Weise zu verstehen. Sie nickte. Das verstand sie. Als wir in Surrey gewohnt hatten, mußten wir plötzlich mit einem Bruchteil des Geldes auskommen, das wir vordem gehabt hatten. Eine Zeitlang hatte ich gedacht, es sei meine Schuld. Ich ging damals in ein örtliches Gymnasium, das in eine Priva t schule umgewandelt wurde. Ich war gern dort. Die Lehrer waren ausgezeichnet, die Rugbymannschaft gewann häufiger, als sie verlor, ich fand nette, gleichgesinnte Freunde, und ich verdankte es der Schule, daß ich nach Oxford kam. Doch irgendwie vermittelte mein Vater mir das Gefühl, ich müsse ein schlechtes Gewissen haben, dort zu sein. Das lag am Schulgeld. Die r e gelmäßigen Zahlungen begleitete er mit mürrischem Gesicht und bissigen Kommentaren. D a mals habe ich nie so ganz begriffen, warum: Er war Börsenmakler wie die Väter vieler anderer Jungen auch, da hätte das Schulgeld eigentlich kein Problem darstellen dürfen. Heute bin ich mir ziemlich sicher, daß die Verdrossenheit meines Vaters von seinen verlustbringenden Spekul a tionen herrührten, doch damals verstand er den Eindruck zu erwecken, daß ich für die Geldsorgen der Familie ve r antwortlich sei.
Er kam mit einer Flasche argentinischem Rotwein zurück. Sehr passend. Und er schwadronierte weiter, vor a l lem von den alten Kolonialaktien, mit denen Dekker Ward früher das große Geld gemacht hatte.
Nach einigen Minuten beschloß ich, ihn vorsichtig zu korrigieren. »Weißt du, Vater, gegenwärtig konzentriert sic h d
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