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Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief

Titel: Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Tomeo
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Pulsschlag einer undefinierbaren Größe zu spüren ist... Ich weiß nicht, ob Sie das alles verstehen können, Bautista. Trotzdem sage ich Ihnen, daß man uns – den Regenwurm und mich, Ihren Herrn – nicht noch einmal wird täuschen können mit den Verlockungen eines glanzvollen gesellschaftlichen Lebens. Ich werde in mein Jahrhundert zurückkehren, das scheint nunmehr außer jedem Zweifel zu stehen, aber ich werde es mit der Sanftmut und Weisheit eines demütigen Eremiten tun, der nach langen Jahren der Einsamkeit und Buße zurückkehrt. Sie lächeln noch immer? Machen Sie, was Sie wollen. Heute morgen fühle ich mich zu großmütig, um Sie auf die Folterbank zu schicken. Kehren wir jedoch zum Thema der Frösche zurück. Ich glaube trotz allem nicht, daß sie unter dem gastronomischen Gesichtspunkt, mit dem wir uns gerade befaßt haben, als fundamental betrachtet werden können. Gott verzeih mir, daß ich soviele Umstände gemacht habe, um eine so einfache Sache zu sagen. Gehen wir jetzt weiter, und betrachten wir die Frösche unter dem Blickwinkel der Vorteile, die sie der Landwirtschaft bringen. Kann man sagen, daß sie auf diesem Gebiet fundamental sind? Kann man behaupten, daß die Frösche der Zement sind, auf dem sich das Gebäude der Landwirtschaft erhebt? Ich würde das für übertrieben halten. Gewiß erweisen sie dem Bauern große Dienste, ich will ihnen nicht unrecht tun. Ich glaube jedoch nicht, daß wir in Übertreibungen verfallen sollten. Machen wir’s nicht wie der eine, der drei Perücken trug oder keine. Die Frösche lassen sich beim besten Willen nicht als fundamental betrachten. Und zweifellos wird dies auch die abschließende Überlegung des Herrn Grafen sein, der, nebenbei bemerkt, kaum je etwas für die Probleme des Ackerbaus übrig hatte. »Frösche sind nicht fundamental«, wird er sich also sagen. »Sie sind es nicht, weil die Welt, auch wenn sie nicht existierten, sich mit der größten Gelassenheit weiterdrehen würde.« Und vielleicht wird der arme Mann bei dieser Schlußfolgerung einen ebensolchen Stolz empfinden wie Galileo ihn empfunden haben mochte, als er die Behauptung aufstellte, die Erde würde sich um die Sonne drehen und nicht umgekehrt. Sie wissen ja, wie das so ist, Unwissenheit neigt stets dazu, sich zu bewundern. Ich meine natürlich Don Demetrio und nicht Galileo. Es ist auch möglich, daß er, im Gefühl seines Scharfsinns, an diesem Punkt beschließt, eine Pause in der Lektüre des Briefes einzulegen. Vielleicht wird er tief durchatmen und, auf der Suche nach einer kleinen Ablenkung, seine ganze Aufmerksamkeit auf Sie konzentrieren. Er wird sich mit der Hand über die Stirn fahren und ohne erkennbaren Grund ein Lächeln versuchen, nur um zu zeigen, daß er nicht locker läßt und um nichts in der Welt vor meiner Handschrift kapitulieren wird. Bedenken Sie, Bautista, daß Leute, die sich für bedeutend halten, sich nicht den Luxus gestatten können, ihren ganzen Kummer vor den anderen zur Schau zu tragen. Im Gegenteil, sie müssen größte Sorgfalt auf den Beweis verwenden, daß sie über den Problemen stehen. Kurz und gut, bedenkt man es recht, dann wäre es nicht weiter verwunderlich, wenn er sogleich eine nichtssagende Miene aufsetzte und mit Ihnen über das Wetter zu sprechen begänne, denn davon spricht man gewöhnlich, wenn einem kein interessanteres Thema einfällt. Während er den Brief als Fächer benutzt – eine weitere Form, zu zeigen, wie kalt ihn dieser läßt –, wird er Sie fragen: »Finden Sie nicht, daß dieser Sommer recht frisch ist?« Es kann auch sein, daß er sich für mich interessiert, nach all den Jahren, in denen er nichts von mir gehört hat. »Und was macht der Herr Marquis jetzt?«, wird er Sie mit gleichgültiger Miene fragen. »Hat er schon alle Zähne verloren? Hat er noch Haare? Werden Sie mir jetzt sagen können, weshalb er seit so vielen Jahren tief in seinem Schloß vergraben lebt?« In diesem Fall müssen Sie Ihre Antwort sehr sorgfältig abwägen, Bautista. Natürlich erwähnen Sie nicht, was ich Ihnen soeben über den Regenwurm gesagt habe. Es macht sich nicht gut, wenn gerade Marquesen sich mit Regenwürmern vergleichen. Erfinden Sie eine Geschichte, die mich in einem guten Licht erscheinen läßt. Erwähnen Sie zum Beispiel die Fruchtbarkeit des kontemplativen Lebens. Oder den Abscheu, den mir unser Jahrhundert einflößt. »Sehen Sie, Don Demetrio«, können Sie ihm erklären, »mein Herr hat noch alle seine Haare und alle

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