Der Marquis schreibt einen unerhörten Brief
Froschschenkel als eine ihrer großen Spezialitäten, aber ich glaube nicht, daß die Rentabilität und das Überleben dieser Restaurants davon abhängen, ob sie ein so umstrittenes Gericht auf ihrer Speisekarte führen oder nicht. Weder von diesem Gericht noch von irgendeiner anderen kulinarischen Verkünstelung. Übertreiben wir die Dinge nicht. Machen wir es nicht wie diese Flegel, die mit verdrehten Augen von unvergeßlichen Käsesorten und liturgischen Schinken sprechen. Die Dekadenz des Menschen begann an dem Tage, da er in derlei Übertreibungen zu verfallen begann. Da haben Sie zum Beispiel Heliogabal, einen römischen Imperator, der sich bei seinen Festgelagen Nachtigallenherzen und Straußenhirne auftischen ließ. Was lehrt uns heute die Geschichte Heliogabals? War nicht gerade seine Herrschaft die Herrschaft von Aberglauben und Ausschweifung? Und endete dieses ruchlose Monstrum nicht durch die Hand seiner eigenen Prätorianer? Kurz und gut, Bautista, manchmal wage ich zu denken, daß die Frösche fundamental wären, wenn die Menschen über kein anderes Nahrungsmittel verfügten. Sie wären zum Beispiel fundamental gewesen für jene englischen Kinder, die mitten in der industriellen Revolution den Schweinen das Futter wegstahlen. Doch seitdem sind viele Jahre vergangen, und niemand braucht den Tieren mehr das Futter zu stehlen. Die Menschen leiden keinen Hunger mehr, das alte Problem wurde gemeistert... Wie? Sie sagen nein? Ist das möglich? Ich gebe zu, Bautista, daß die Mauern dieses Schlosses sich manches Mal – und für manche Dinge – als recht hoch erweisen. Mein abgeschiedenes Dasein hat schon viel zu lange gedauert. Was mag draußen vor sich gehen?, frage ich mich immer häufiger. Was machen die Menschen heute? Sind sie immer noch in absurde Kriege verwickelt? Haben sie endlich all das erreicht, wonach sie sich seit Jahrtausenden sehnen? Ich möchte das alles selbst in Erfahrung bringen, Bautista, denn weil ich mißtrauisch bin, halte ich immer weniger auf das, was die Zeitungen schreiben. Ich glaube also, daß der Tag meiner Wiederbegegnung mit der Welt immer näherrückt . Ich möchte nicht in diesem Schloß sterben, weit entfernt von allen, ohne Verbindung mit meinem Nächsten. Sie werden jedoch verstehen, daß ich nach so vielen Jahren der Zurückgezogenheit einige Vorsichtsmaßnahmen treffen muß, bevor ich zurückkehre. Darum halte ich jetzt den Moment für gekommen, die ersten Brücken zu schlagen und Briefe zu schreiben, die meine Wiederbegegnung mit denen vorbereiten, die, von Fragen der Herkunft und des Standes jetzt einmal abgesehen, immer noch meinesgleichen sind. Die zwanzig Jahre meiner Weltabgeschiedenheit waren indes keine Laune. Ich versichere Ihnen, Bautista, daß ich viele und gewichtige Gründe hatte, mich von der Welt zurückzuziehen. Es war dies keine Entscheidung, die ich ohne Sinn und Verstand getroffen habe. Ganz im Gegenteil, ich habe das Für und Wider sorgfältig gegeneinander abgewogen. Die Einsamkeit, sagte ich mir eines Tages, ist meine große Zuflucht. Und ich überließ mich ihr, so wie ein Jüngling sich seiner ersten Liebe hingibt. Ich dachte zum Beispiel, daß die Einsamkeit mich lehren würde zu sterben und daß ich in ihrem Spiegel die ganze Erhabenheit Gottes erschauen könnte. Damals hörte ich auf, ein Schmetterling zu sein, und verwandelte mich in einen Regenwurm, in einen unterirdischen Arbeiter, der sich in der Dunkelheit bewegen muß. Sie lächeln, Bautista? Verachten Sie die Regenwürmer? Sie tun unrecht. Nicht allen Menschen ist Verachtung gestattet. Und falls Sie es nicht wissen, so sage ich Ihnen, daß wenige Lebewesen bekannt sind, die nützlicher wären als der Regenwurm. Er arbeitet ohne Eile noch Weile. Kraft der Muskulatur seines Körpers kann er, ohne Hilfe von Kinnbacken oder Klauen, lange Tunnelgänge in der Erde graben. In die Tiefe seines Schlupfwinkels transportiert er trockene Blätter und verfaulte Stengel . Den ganzen Tag ißt er Erde, die er in seinem langen Verdauungstrakt auflockert. Er vermischt die Erde mit Säuren, Salzen, Fermenten, Vitaminen und Hormonen und scheidet sie wieder aus in Form von dünnen Schlangenlinien. Darin entwickeln sich alsbald unzählige Lebewesen, die den Pflanzenwuchs fördern werden. Der Regenwurm, Bautista, hat nicht einmal Augen. Er könnte wenig anfangen im Land der Sonne. Sein Platz ist in der Finsternis. Er tröstet sich jedoch mit dem Gedanken, daß dort, wo Finsternis herrscht, immer der
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