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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Brorsen
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dazu durchrang. Nun gilt es Bilanz zu ziehen. Und die sieht düster aus. Die Fahndung nach den Mordbrennern, im Volksmund mittlerweile als „Vagabundenjagd“ belächelt und verspottet, ist, unfassbar für alle Beteiligten, ins Leere gelaufen und wird nun erfolglos abgeschlossen.
    Und Timm? Mehrmals hat Rötger ihn an nasskalten Wintertagen aufgesucht in dem gemütlich eingerichteten Zimmer beim Bauernvogt Jens. Hat ihn eingeladen in seine Itzehoer Stadtvilla, wo Timm sich höflich und reserviert verhielt. Und der Ermittler gewann den Eindruck eines vom Schicksal gebeutelten jungen Mannes auf dem Weg, zu sich selbst zurückzufinden.
    „Die Sache beenden?“ greift Jacobsen den Gesprächsfaden wieder auf, „das hieße doch Abschlussbericht.“
    Röttger rafft sich auf. „Genau. Noch heute werde ich ihn schreiben.“ Kurz blickt er Jacobsen an: „Natürlich nur mit Ihrem Einverständnis.“
    Der Kollege nickt müde: „Einverstanden.“ Grimmig lacht er auf: „Einen Orden wird man uns nicht an die Brust heften. Aber wahrscheinlich werden wir befördert. In den Ruhestand.“
    Als er bemerkt, dass sein Fatalismus dem Mitstreiter missfällt, lenkt er ein: „Na ja. Vielleicht hat Glückstadt ein Einsehen. Nach dem alten Motto: Ut desint vires, tamen est laudanda voluntas.“
    Rötger versucht, sich an den Hexameter aus seiner Pennälerzeit zu erinnern: „Ja, ja. Das trifft genau den Kern: Wenn auch die Kräfte fehlen, so ist doch der gute Wille zu loben.“ Und mit düsterer Miene fährt er fort: „Wir aber, lieber Herr Kollege, wir sind am Ende mit unserem Latein.“
    Entschlossen steht er auf, entnimmt dem Schrank einen Stapel feinen Papiers und teilt gehorsamst dem verehrlichen Obercriminalgericht zu Glückstadt mit, die Untersuchung sei abgeschlossen. Akribisch zählt er Polizeieinsätze, Nachforschungen bei Ämtern, Dienststellen, Vogteien und Privatpersonen auf. Er zitiert Aussagen der Helfer am Tatort, der Ärzte, der Nachbarn. Ausführlich berichtet er auch von einem naheliegenden Verdacht gegen den inzwischen 23-jährigen Überlebenden und Alleinerben, der sich jedoch als gegenstandslos erwiesen habe.
    Dem Schreiben fügt er die Akten bei und schließt mit der Bitte um Freigabe der Police für die vom Hofbesitzer Johann Thode mit der Brandgilde abgeschlossene Feuerversicherung.
    Stunden später, Jacobsen hat sich längst zur Ruhe begeben, steht Dr.   Friedrich Rötger am Fenster. Er raucht eine Zigarre (Verdammt! Die wievielte heute?) und versucht seine Nerven zu beruhigen. Ausgelaugt fühlt er sich, erschöpft und niedergeschlagen. Zunächst zufrieden mit seinem umfassenden Abschlussbericht, kommt ihm dieser jetzt wie die unzulängliche Rechtfertigung eines Gescheiterten vor. Hat er versagt?
    „Die werden toben. Uns vielleicht sogar degradieren. Wegen Unfähigkeit.“ Mit ungutem Gefühl erwartet Justizrat Jacobsen die Reaktion des Oberkriminalgerichts auf Rötgers Abschlussbericht. Doch in Glückstadt hat man andere Sorgen. Die Annexion der Herzogtümer Schleswig und Holstein, von der Regierung in Berlin als Eingliederung in den Preußischen Staatsverband verharmlost, schafft Unsicherheit und Existenzängste.
    Nachdem Preußen bereits im Sommer 1865 den Dänen das Herzogtum Lauenburg abgekauft hat, erfolgt jetzt die Besitzergreifung des norddeutschen Kernlandes durch den Preußenkönig Wilhelm I., der sich vier Jahre später zum  Kaiser krönen lassen wird. Die Übernahme geht einher mit der Trennung von Justiz und Verwaltung und der Neuordnung des Gerichtswesens, an deren Ende die Auflösung des Obergerichts zu Glückstadt und die Gründung eines Kreisgerichtes in Itzehoe stehen werden.
    Preußen vollzieht die Angleichung des rückständigen schleswig-holsteinischen Beamtentums an die modernste Verwaltung Europas nicht mit brutalen Einschnitten. Erst am 1.   September 1867 tritt das neue Justizgesetz in Kraft. Bis dahin bleibt dem Obergericht Zeit, den Ermittlungen des Verbrechens an der Thode-Familie neue Impulse zu geben.
    Zähneknirschend akzeptieren die Glückstädter Rötgers Bericht. Sie senden dem verehrten Herrn Justizrat umgehend die erbetene Police für Johann Thodes Brandversicherung. Und sie enthalten sich jeden Kommentars zu dem kümmerlichen Ergebnis der umfangreichsten Fahndung, die je in diesem Land durchgeführt wurde.
    Dass aber die Akte Thode geschlossen wird und an ihrem Ende statt des Schlusspunktes ein Fragezeichen steht, kommt für den Präsidenten des Obergerichts nicht in

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