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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Brorsen
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die wegen Niedrigwassers in der Nacht zum 8.   August auf der Stör unweit des Thode-Hofes vor Anker gegangen ist. Nachforschungen in Itzehoe, Hamburg, Bremen, Emden. Stellen Sie sich nur einmal einen so abwegigen Verdacht vor: Die sechsköpfige Besatzung krabbelt über den Stördeich, sucht nach Diebesgut und rottet ganz nebenbei eine Bauernfamilie aus. Mit solch konfusen Dingen haben die Itzehoer ihre Zeit verplempert.“
    Verschwörerisch beugt er sich zum Kollegen hinüber. „Wir müssen uns an den Thode halten. Ausschließlich an ihn. Und ihn so lange bearbeiten, bis er mit der Wahrheit herausrückt. Noch heute lass’ ich mir volle Handlungsfreiheit bescheinigen. Wir buchten ihn ein. Sofort. Und dann nehmen wir ihn in die Mangel. Tag für Tag.“
    Triumphierend betritt Dr.   Mohrdieck am nächsten Morgen das geräumige Dienstzimmer und legt dem im Aktenstudium vertieften Schütt ein DIN-A4-Blatt auf den Schreibtisch. „Schauen Sie. Gucken Sie nur richtig hin.“ Schütt mustert verdutzt den Kollegen, den Morgenmuffel, der normalerweise erst gegen Mittag zur Hochform aufläuft. Er nimmt das Blatt in die Hand und liest:
    Die Obergerichtsräte Mohrdieck und Schütt sind unter Zuordnung des Gerichtsobersekretärs v. Prangen als Protokollführer beauftragt, sich nach Itzehoe zu begeben. Sie sind autorisiert, alle zur Förderung der Untersuchung zweckdienlichen Maßnahmen vorzunehmen, insbesondere Arretierungen, Haussuchungen, und Beeidigungen zu verfügen oder selbst durchzuführen. In freiem Ermessen sind sie bemächtigt, gegen jedermann zu verfahren. So wird es einer weiteren Autorisation in einem besonderen Falle für sie nicht bedürfen.
    Die Unterlippe vorgeschoben, reicht der Senior seinem Mitstreiter das Schreiben zurück. „Allewetter! Solche Machtbefugnis hat selbst der Giehlow nicht.“
    Mohrdieck setzt sich seinem Kollegen gegenüber. „Und genau der hat Druck gemacht. Getobt wie ein Berserker. Die Itzehoer als Provinztrottel verflucht. Und nun verlangt er rücksichtsloses Vorgehen und lückenlose Aufklärung.“
    Dr.   Giehlow ist der gefürchtetste Jurist des Landes, Oberstaatsanwalt am Kieler Appellationsgericht und Schleswig-Holsteins ranghöchster Ankläger. Durch die Neuordnung des Justizwesens außergewöhnlich belastet, hat er den Glückstädtern freie Hand gelassen bei der Aufklärung des Mordfalls Thode. Und ist nun angesichts des schmählichen Ergebnisses außer sich vor Enttäuschung und Wut.
    „Der hat unseren Herrschaften ein Feuer unter dem Hintern gemacht, dass die Heide wackelt“, amüsiert sich Mohrdieck, während Schütt besorgt auf den Kalender blickt: „6.   Mai. Zwei Tage noch, und die Jagd geht an.“
    Mohrdiecks Optimismus ist auch durch die Vorbehalte seines Kollegens nicht zu erschüttern. „So ist es. Aber, vergessen Sie nicht: Das ist keine Treibjagd mit ungewisser Beute. Es gibt nur ein einziges Stück Wild. Das werden wir in die Enge treiben. Und erlegen.“
    Wiederum versucht Schütt, die Zuversicht des Jüngeren zu bremsen: „Bedenken Sie, dass eine vorschnelle Festnahme des Thode mit Risiken für uns verbunden ist.“ Er deutet auf das Schreiben des Präsidiums: „Sicher, wir dürfen nach Gutdünken handeln. Haben nahezu grenzenlose Entscheidungsfreiheit. Wenn wir ihm aber nichts beweisen können und er bei seiner Aussage bleibt, müssen wir ihn kurz über lang wieder freisetzen. Und dann gnade uns Gott.“
    Mohrdieck nickt. „Sie haben Recht. Aber das Schreiben hier ist unsere Waffe. Es garantiert uns alle Vollmachten, die wir brauchen. Außerdem nutzen wir selbstverständlich den jetzigen Wissensstand. Und der macht jede weitere Suche nach Fremdbeteiligten zu einer überflüssigen und nutzlosen Aktion. Was uns bleibt, ist der Thode. Und den drehen wir durch den Fleischwolf, bis nur noch sein Geständnis übrig bleibt.“
    Oberjustizrat Schütt bleibt skeptisch. Ihm imponiert die pragmatische Logik des Kollegen, sein scharfer Intellekt. Zugleich regt sich in ihm eine Abwehr gegen die rigorose Zielstrebigkeit, mit der Mohrdieck sein Anliegen verfolgt. Auch widerstrebt ihm dessen sarkastische Beurteilung der Vorgänger.
    Soll er seinen Kollegen daran erinnern, dass Friedrich Rötger von 1837 bis 1851 als Itzehoer Bürgermeister die Geschicke seiner Heimatstadt in unruhiger Zeit und in gefährlichen Revolutionsjahren mit Umsicht und Erfolg leitete? Dass er von 1854 bis 1866 als Abgeordneter der Holsteiner Ständeversammlung hohes Ansehen genoss?
    Er schweigt,

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