Der Matarese-Bund
treffen wollte. Dieser Student, sein Freund, konnte sich nicht in der Öffentlichkeit sehen lassen; er hatte Schwierigkeiten und brauchte Hilfe.
Hinsichtlich der Identität dieses Studenten oder der Gefahr, in der er sich befand, sollte kein Zweifel gelassen werden. Der alte Mann mußte erschreckt werden, verängstigt, es war wichtig, daß er sich um einen einstmals lieben, jungen Freund Sorgen machte. Seine Besorgnis mußte für jeden, der ihn etwa beobachtete, offenkundig sein. Die Vorkehrungen für das Zusammentreffen mußten kompliziert genug sein, um den Verstand eines alten Mannes zu verwirren. Die Verwirrung und die Angst des alten Gelehrten würden dann zu unvorsichtigen Bewegungen führen, einem verstörten Hin und Her, plötzlichen Wendungen, abruptem Umkehren, Entscheidungen, die getroffen und sofort wieder umgestoßen wurden. Unter solchen Umständen würde, wer auch immer dem alten Mann folgte, sich verraten, denn der Verfolger würde jede Bewegung des alten Gelehrten mitmachen müssen.
Lodzia würde den alten Mann instruieren, er solle den mächtigen Komplex des Bibliotheksgebäudes um zehn Minuten vor sechs am Abend durch den Südwestausgang verlassen; die Straßen würden dann dunkel sein, und mit Schneefällen war nicht zu rechnen. Er würde aufgefordert werden, zuerst ein paar Häuserblocks in eine Richtung und dann in eine andere Richtung zu gehen. Wenn es nicht zum Kontakt kam, sollte er in die Bibliothek zurückkehren und warten; wenn überhaupt möglich, würde sein langjähriger Freund versuchen, dort hinzukommen. Aber Garantien gab es keine.
In einer solchen Streßsituation würden die Zahlen alleine schon ausreichen, um den Wissenschaftler zu verwirren, denn Lodzia sollte den Telefonanruf abrupt beenden, ohne die Zahlen zu wiederholen. Wassili würde den Rest übernehmen. Der Verräter wäre nun Maletkin, ohne es zu wissen, sein Komplize.
»Was wirst du tun, nachdem du den alten Mann getroffen hast?« fragte Lodzia.
»Das hängt von dem ab, was er mir sagt oder was ich von dem Mann in Erfahrung bringen kann, der ihm folgt.«
»Wo wirst du bleiben? Werde ich dich sehen?«
Wassili stand auf. »Es könnte gefährlich für dich sein, wenn ich hierher zurückkäme.«
»Ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen.«
»Aber ich bin nicht bereit, das zuzulassen. Außerdem arbeitest du bis zum Morgen.«
»Ich kann meinen Dienst früher antreten und Mitternacht weggehen. Hier ist jetzt alles etwas gelockerter als beim letzten Mal, als du in Leningrad warst. Wir vertreten uns gegenseitig, und ich bin völlig rehabilitiert.«
»Jemand wird wissen wollen, warum du das tust?«
»Ich werde ihm die Wahrheit sagen. Ein alter Freund ist aus Moskau gekommen.«
»Ich glaube nicht, daß das eine besonders gute Idee ist.«
»Ein Parteisekretär aus dem Präsidium mit seiner Frau und ein paar Kindern. Er möchte anonym bleiben.«
»Wie ich schon sagte, eine ausgezeichnete Idee.« Taleniekov lächelte. »Ich werde vorsichtig sein und durch den Keller gehen.«
»Was wirst du mit ihm machen?« Lodzia deutete mit einer Kopfbewegung auf den toten Engländer.
»Ihn in dem am weitesten entfernten Keller ablegen, den ich finden kann. Hast du eine Flasche Wodka?«
»Hast du Durst?«
»Er hat Durst. Ein weiterer unbekannter Selbstmord im Paradies. Wir veröffentlichen solche Selbstmorde nicht. Ich brauche eine Rasierklinge.«
Piotr Maletkin stand neben Wassili im Schatten eines Torbogens, gegenüber dem Südwesteingang der Saltykov-Schschtedrin-Bibliothek. Die Scheinwerfer im Innenhof des Gebäudes wurden in großen Kreisen von den hohen Mauern reflektiert und vermittelten den Eindruck einer riesigen Gefängnisanlage. Aber die Torbögen, die zur Straße dahinter führten, waren in Abständen von dreißig Metern angebracht; die »Gefangenen« konnten ganz nach ihrem Belieben kommen und gehen. In der Bibliothek herrschte an diesem Abend viel Betrieb; Scharen von »Gefangenen« kamen und gingen.
»Sie sagen, dieser alte Mann sei einer von uns?« fragte Maletkin.
»Bringen Sie Ihre neuen Feinde nicht durcheinander, Genosse. Der alte Knabe ist vom KGB, der Mann, der ihm folgt, der im Begriffe ist, ihn zu kontaktieren – ist einer von uns. Wir müssen ihn erreichen, ehe die Falle zuschnappt. Der Gelehrte ist eine der effektivsten Waffen, die Moskau für die Spionageabwehr entwickelt hat. Seinen Namen kennen im KGB nur fünf Leute; wenn man ihn kennt, offenbart man sich damit als Informant der Amerikaner.
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