Der Matarese-Bund
über ihn spreche.«
»Sie sind sehr gut daran. Ich meine, einfach so etwas sagen zu können und es dabei bewenden zu lassen. Einige von uns sind nicht so glücklich.« Er blieb vor ihr stehen, und sein Schatten fiel über sie. Er hatte sich die Lüge gut überlegt. »Ich kann es nicht. Ich war dort. Ebenso wie Ihr Sohn.«
Die alte Frau trank einige Schlucke ohne innezuhalten.
»Kriege töten so viel mehr als die Körper der Menschen. Schreckliche Dinge geschehen. Sind Ihnen auch schreckliche Dinge widerfahren, junger Mann?«
»Ja.«
»Hat man diese scheußlichen Dinge mit Ihnen gemacht?«
»Was für scheußliche Dinge, Mrs. Appleton?«
»Sie hungern lassen, Sie geschlagen, Sie bei lebendigem Leibe eingegraben, Ihnen Schmutz und Schlamm in die Nase geschoben, so daß Sie nicht atmen konnten? So daß Sie langsam dahinstarben, bei vollem Bewußtsein, hellwach und doch starben?«
Die alte Frau schilderte Folterungen, die Männer bestätigt hatten, die in nordkoreanischen Gefangenenlagern festgehalten worden waren. Doch was hatte das jetzt zu besagen? »Nein, solche Dinge sind mir nicht widerfahren.«
»Aber ihm, wissen Sie. Das haben mir die Ärzte gesagt. Das war es doch, was ihn so verändert hat. Tief in seinem Inneren. Aber wir dürfen nie darüber sprechen.«
»Darüber sprechen…?« Wovon redete sie denn? »Sie meinen den Senator?«
»Pst!« Die alte Frau leerte ihr Glas. »Wir dürfen niemals, niemals darüber sprechen.«
»Ich verstehe«, sagte Bray, aber er verstand nicht. Senator Joshua Appleton IV. war nie von den Nordkoreanern gefangengehalten worden. Captain Josh Appleton war viele Male der Gefangennahme entkommen. Gerade die Tatsache, daß ihm dies hinter den feindlichen Linien gelungen war, gehörte mit zu seiner Legende. Scofield stand immer noch vor ihrem Stuhl und sprach jetzt wieder. »Aber ich könnte nicht sagen, daß mir je große Veränderungen an ihm aufgefallen wären, davon abgesehen, daß er älter wurde. Ich habe ihn natürlich vor zwanzig Jahren nicht so gut gekannt, aber für mich ist er immer noch einer der großartigsten Männer, die ich je gekannt habe.«
»Innen drinnen!« flüsterte die alte Frau heiser. »Es ist alles innen! Er ist eine Maske… Die Leute beten ihn an.« Plötzlich standen Tränen in ihren Augen und die Worte, die jetzt folgten, waren wie ein Aufschrei aus den Tiefen ihrer Erinnerung. »Sie sollten ihn anbeten! Er war ein so schöner Junge, ein so gutaussehender junger Mann. Es hat keinen gegeben, der meinem Josh gleichkam, niemand, der freundlicher gewesen wäre!… Bis sie diese schrecklichen Dinge mit ihm gemacht haben.« Sie weinte. »Ich habe mich so schrecklich benommen. Ich war seine Mutter und konnte nicht verstehen! Ich wollte meinen Joshua zurück! Ich war so versessen darauf, ihn zurückzubekommen!«
Bray kniete nieder und nahm ihr das Glas weg. »Was wollen Sie damit sagen – Sie wollten ihn zurück?«
»Ich konnte es nicht verstehen. Er war so kalt, so unnahbar. Sie hatten ihm die Freude weggenommen. Es war keine Freude mehr in ihm! Er kam aus dem Krankenhaus… Der Schmerz war einfach übermächtig gewesen; ich konnte nicht verstehen! Er sah mich an; da war keine Freude mehr, keine Liebe.«
»Das Krankenhaus? Der Unfall nach dem Krieg – gleich nach dem Krieg?«
»Er hat so sehr gelitten… und ich trank so viel… so viel. Jede Woche, die er in diesem schrecklichen Krieg war, trank ich mehr und mehr. Ich konnte es nicht ertragen! Er war alles, was ich hatte. Mein Mann war… nur dem Namen nach mein Mann. Das war ebenso meine Schuld, wie die seine, denke ich. Ich widerte ihn an. Aber meinen Josh habe ich so geliebt.« Die alte Frau griff nach dem Glas. Er erreichte es vor ihr und schenkte ihr ein. Sie sah ihn durch ihre Tränen an. Die Trauer über das, was sie war, erfüllte ihre Augen. »Ich danke Ihnen sehr«, sagte sie würdevoll.
»Gern geschehen«, antwortete er und kam sich dabei hilflos vor.
»In gewisser Weise«, wisperte sie, »habe ich ihn immer noch, aber er weiß es nicht. Niemand weiß es.«
»Wieso?«
»Als ich aus Appleton Hall auszog… auf Appleton Hill… ließ ich sein Zimmer so, wie es war, wie es immer gewesen war. Sie müssen wissen, er ist nie zurückgekehrt, nie. Nur eines Abends einmal auf eine Stunde, um ein paar Dinge abzuholen. Also nahm ich hier ein Zimmer und machte es zu dem seinen. Es wird immer sein Zimmer sein, aber er weiß das nicht.«
Wieder kniete Bray vor ihr nieder. »Mrs. Appleton, darf
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