Der Matarese-Bund
Fenster dreihundert Meter über ihm.
Die erste Gestalt, die vor ihm auftauchte, war Taleniekov, aber es war nicht der Taleniekov, den er zuletzt in London gesehen hatte. Der Russe stand bewegungslos hinter dem Fenster und sein Kopf war in einen dicken Verband gehüllt. Eine Ausbuchtung unter dem offenen Hemdkragen wies auf Wunden, die mit Gaze verbunden waren. Neben dem Russen stand ein dunkelhaariger, muskulöser Mann, dessen Hand hinter Taleniekovs Rücken verborgen war. Scofield hatte den entschiedenen Eindruck, daß Taleniekov zusammenbrechen würde, wenn der Mann ihn nicht stützte. Aber er lebte, seine Augen blickten starr nach vorne und blinzelten alle ein oder zwei Sekunden; der Russe sagte ihm, daß er lebte.
Bray schob sein Glas nach rechts, und sein Atem stockte. Das Pochen in seiner Brust war wie der Klang eines immer schneller werdenden Trommelwirbels in einer Echokammer. Es war fast mehr als er ertragen konnte; der Regen beschlug die Linsen; es war zum Verrücktwerden.
Da war sie! Sie stand aufrecht hinter dem Fenster, den Kopf hoch erhoben, zuerst nach links gedreht und dann nach rechts, die Augen gerade nach vorne blickend, auf Stimmen reagierend. Reagierend.
Dann sah Scofield, was er nicht zu sehen gehofft hatte. Erleichterung überkam ihn. Er wollte in seinem Überschwang durch den Regen hinausrufen. In Antonias Augen stand Furcht, daran war kein Zweifel, aber da war noch etwas. Ärger.
Aus den Augen der Frau, die er liebte, blickte Ärger. Ein Geist, der Ärger empfinden konnte, war ein Geist, der noch intakt war.
Er senkte das Glas, kurbelte die Scheibe hoch und ließ den Motor an. Er mußte jetzt einige Telefongespräche führen und etwas arrangieren. Wenn das erledigt war, dann war die Zeit gekommen, daß Mr. B. A. Vickery im Ritz Carlton Hotel eintraf.
37
»Waren Sie zufrieden?« Die Stimme des Senators klang jetzt kontrollierter als am Morgen. Da war immer noch die Angst, aber sie lag jetzt weiter unter der Oberfläche.
»Wie schwer ist der Russe verletzt?«
»Er hat Blut verloren; er ist schwach.«
»Das konnte ich sehen. Kann er gehen?«
»Gut genug, um ihn in einen Wagen zu setzen, wenn es das ist, was Sie tun wollen.«
»Das ist es, was ich tun will. Er und die Frau mit mir im Wagen, in genau dem Augenblick, den ich verlange. Ich werde mit dem Wagen zum Tor fahren. Das Tor wird auf mein Signal geöffnet werden. Sie bekommen dann die Röntgenaufnahmen, und wir fahren hinaus.«
»Ich dachte, Sie wollten ihn töten.«
»Ich will zuerst etwas anderes. Er besitzt Informationen, die den Rest meines Lebens sehr angenehm machen können, gleichgültig, wer wo das Sagen hat.«
»Ich verstehe.«
»Sicher tun Sie das.«
»Sie sagten, Sie würden sich mit Nicholas Guiderone treffen und sich anhören, was er zu sagen hat.«
»Das werde ich. Ich wäre ein Lügner, wenn ich nicht zugäbe, daß ich Fragen habe.«
»Er wird alles beantworten. Wann werden Sie ihn sehen?«
»Er wird es erfahren, wenn ich im Ritz Carlton eintreffe. Sagen Sie ihm, er soll mich dort anrufen. Und, eine s wollen wir klarstellen, Senator. Ein Anruf, keine Truppen. Die Röntgenaufnahmen werden nicht im Hotel sein.«
»Wo werden sie denn sein?«
»Das ist meine Angelegenheit.« Scofield legte auf und verließ die Telefonzelle. Den nächsten Anruf würde er von einer Zelle im Stadtzentrum von Boston aus tätigen. Er würde Robert Winthrop anrufen, in erster Linie, um die Reaktion des Botschafters auf das Material in dem Umschlag zu erfahren. Und um sicherzustellen, daß die von ihm verlangten Schutzmaßnahmen getroffen wurden. Wenn es Schwierigkeiten gab, so wollte er das wissen.
»Hier ist Stanley, Mr. Scofield.« Die Stimme von Winthrops Chauffeur klang wie immer mürrisch, nicht unfreundlich. »Der Botschafter ist noch im Weißen Haus; er hat mich gebeten, hierher zurückzufahren und auf Ihren Anruf zu warten. Ich soll Ihnen sagen, daß alles, was Sie verlangt haben, erledigt wird. Er sagt, ich sollte die Zeiten wiederholen. Elf Uhr dreißig, elf Uhr fünfundvierzig und zwölf Uhr fünfzehn.«
»Das ist es, was ich hören wollte. Vielen Dank.« Bray öffnete die Tür der Telefonzelle in dem Drugstore und ging an einen Tisch, wo Zeichenpapier und Filzstifte verkauft wurden. Er wählte hellgelbes Papier und einen dunkelblauen Stift.
Er ging zu seinem Wagen zurück und benutzte seinen Aktenkoffer als Unterlage, um seine Botschaft in großen, klaren Lettern auf das gelbe Papier zu schreiben. Dann klappte er
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