Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
bestimmte Unternehmungen ein günstiger Tag zu erwarten ist, ob Hausbau, ein Begräbnis oder eine Reise. Der US-amerikanische Ethnologe Clifford Geertz schrieb daher einmal, den Menschen auf Bali käme es nicht darauf an, welchen Tag man habe, sondern was für ein Tag das sei. Dajeder Tag neun verschiedenen Zyklen angehört (und entsprechend neun Namen trägt), sind die Berechnungen ausgesprochen schwierig. Für die Bestimmung günstiger Tage wandte man sich daher an Kalenderkundige, die sich im komplizierten Geflecht der verschiedenen Zyklen auskannten.
Indonesien wurde seit jeher vielfältig beeinflusst, daher kann man für Elemente des eigenwilligen Kalenders Einflüsse aus Indien, dem Islam und dem pazifischen Raum ausmachen. Das indonesische Jahr von 210 Tagen ergibt sich aus der Multiplikation dreier dieser Zyklen, des 5-, 6- und des 7-Tage-Zyklus (5 × 6 × 7 = 210), die die wichtigsten sind und für chronologische Angaben verwendet werden. Um unsere Verwirrung angesichts des fremdartigen und schwer zu handhabenden Kalendersystems der Indonesier perfekt zu machen, gibt es außerdem eine Art »Monat« von 35 Tagen, der mit dem Mondzyklus von gut 29,5 Tagen allerdings nichts zu tun hat. Vielmehr handelt es sich um die Kombination der beiden Zyklen von fünf bzw. sieben Tagen Länge.
So kompliziert Außenstehenden das Leben in solcher Zeitrechnung auch erscheinen mag – Indonesien kann noch mit anderen Kalendersystemen aufwarten. Der Pranotomongso beispielsweise beruht auf dem Schattenwurf der Sonne zur Mittagszeit und teilt das Jahr in zwölf Häppchen, die allerdings unterschiedlich groß sind. Wirklich beachtet wurden nur vier davon. Wie ihre Kollegen anderswo in der Welt orientierten sich die indonesischen Reisbauern für ihre Arbeit an Mond und Sternen, in diesem Fall am Sternbild Orion, das passenderweise wie ein Pflug daherkommt. Das fanden übrigens die germanischen Völker auch. Der Orion taucht ebenso passend zu Beginn des indonesischen Bauernjahres am Himmel auf und beendet seine jährliche Laufbahn mit dem Saisonende, wenn er auf dem Kopf steht wie der Pflug, der nach getaner Arbeit beiseitegestellt wird.
Zeitvorstellungen und -rechnungen in Asien gehen auf mehrals einen Einfluss zurück – außer dem Konfuzianismus sind vor allem Hinduismus und Buddhismus maßgebliche Faktoren. Auch ein starker babylonischer Einfluss ist möglich – aber das ist unter Fachleuten höchst umstritten. In Hinduismus und Buddhismus spielen Zyklen eine große Rolle, die man mithilfe anspruchsvoller Astronomie und Mathematik exakt berechnen wollte. Der Mythologie zufolge hat die Welt zyklisch mehrere Zeitalter durchlaufen. Im Buddhismus ist der höchste und älteste Gott der Gott der Zeit – er war schon vor allem Anfang da und vollzog die Schöpfung. Seither nimmt die Welt eine Entwicklung zum Schlechteren. Wesentlicher als die Zeitmessung ist die Zeiterfahrung, nach buddhistischer Lehre die leidvolle der Vergänglichkeit, die in der Meditation überwunden werden soll. Vielleicht deshalb lässt sich von einem einzigen buddhistischen Kalender nicht reden und spielen äußere, insbesondere chinesische Einflüsse hier eine wichtige Rolle. In Indien wurde unter britischer Herrschaft der christliche Kalender eingeführt, aber die Rajas und Sultane der teilunabhängigen Gebiete kochten bis zur indischen Unabhängigkeit mit Vorliebe ihr eigenes Kalendersüppchen. Wie in ganz Asien ist für die Inder der Charakter eines Tages wichtig, weil er Glück oder Unheil bringen kann, weshalb es angeraten ist, diesen Charakter zu kennen, bevor man sich auf ein Vorhaben einlässt.
Unser Spaziergang durch die Geschichte der Zeitrechnung und -einteilung fördert bei aller faszinierenden Vielfalt der Kalendersysteme Gemeinsamkeiten zutage – dies ist auch wenig verwunderlich, wenn eine intelligente Spezies mit ähnlichen Voraussetzungen in verschiedenen Erdwinkeln ein Phänomen zu kartieren versucht, das in seinen Grundzügen überall auf der Welt gleich ist. Die Unterschiede der Kartierungen erklären sich durch kulturelle Prägungen, den jeweiligen Stand der intellektuellen Entwicklung, die pragmatischen Erwartungen an ein Zeitmesssystem sowie denNachthimmel, der von verschiedenen Beobachtungspunkten rund um die Welt sich sehr verschieden präsentiert. Zwei Aspekte sind jedoch überaus bedeutsam in der Geschichte des Kalenders: Weil die Zeitrechnung sehr alt ist, durchwirken sie kosmologische und religiöse Vorstellungen, was selbst
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