Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur

Titel: Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
Himmelsphänomene als Bühnenbeleuchtung nutzte – also mehr symbolisch als praktisch ausgerichtet war. Anthony Aveni nannte die E-Gruppe daher »eher Theater denn Labor, mehr ein Planetarium als ein Observatorium«.
    Eine ähnliche Bauanlage aus der Region Tikal steht ebenfalls in Verbindung zu Zeit und Kalender: die sogenannten Zwillingspyramiden vor allem des späten 7. und des 8. Jahrhunderts. Sie wurden anlässlich der k’atun -Feiern errichtet und bestehen aus je einer Pyramide im Osten und im Westen einer gemeinsamen Plattform. Auch diese Pyramiden stehen frei und besitzen an allen vier Seiten Freitreppen mit je 91 Stufen – die oberste Plattform mitgerechnet also insgesamt 365, wohl nicht zufällig die Tageszahl des Haab . (Vielleicht hat sich die Weltkalender-Initiatorin Elisabeth Achelis davon inspirieren lassen, als sie über ein Jahrtausend später ein Schema für ihren Kalenderentwurf von vier Jahresvierteln à 91 Tagen plus dem World Day entwarf, das ebenso gut der Grundriss eines solchen Tempels sein könnte.) Alles zusammengenommen ergibt sich eine bestechende Kalendersymbolik für die wichtigste Zyklusfeier: Der Herrscher vermeldet die Vollendung eines k’atun mit einem würdigen Blutopfer und der Aufstellung einer Säule auf dem Platz zwischen den Tempeln, die wiederum den Tag und den Kosmos darstellen und gleichzeitig eine Allegorie sind für das Sonnenjahr des Haab . In dieser Szenerie schmückt sich der k’uhul ajaw , der Gottkönig, mit Kalenderattributen, Himmelssymbolik und den Erfolgen seiner Herrschaft, weil er den k’atun sozusagenin Person beendet und zuversichtlich in den nächsten eintritt – ganz wie ein moderner Politiker, der nach einer erfolgreichen (oder als erfolgreich verkauften) Wahlperiode publikumswirksam die nächste frohgemut in Angriff nimmt.

    Das Ende des Gottkönigtums der Maya bedeutete keineswegs das Ende ihrer anspruchsvollen Astronomie, wie nicht nur die Codices der Spätzeit belegen. Das Caracol – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Stadtstaat – von Chichén Itzá beispielsweise, das noch heute Touristen beeindruckt, aber auch das sogenannte Herrscherhaus von Uxmal, eine weitere Stadt der Maya-Nachklassik in Yucatán, waren ganz auf die Venus ausgerichtet und Letzteres überdies reichhaltig mit Abbildungen des Planeten versehen.
    An Chichén Itzás Caracol hat sich schon so mancher Forscher die Zähne ausgebissen, und den britischen Mayanisten Eric Thompson veranlassten die eklatanten Asymmetrien der Architektur zu der ungnädigen Bemerkung: »Wie eine zweistöckige Hochzeitstorte steht es auf dem Karton, in dem es geliefert wurde. Unübersehbar stimmte etwas nicht mit dem Geschmack der Architekten, die es gebaut haben.« In der Tat wirkt das klobige Gebäude, gebaut zwischen 800 und 1000 n. Chr., disproportioniert und misslungen, vor allem der dicke Turm, der wie der allzu prahlerisch geratene Burgfried einer bescheidenen Verteidigungsanlage wirkt. Zwei breite Freitreppen führen auf die ältere erste und die zweite Plattform. Der Turm kann auf der zweiten Plattform des Sockelbaus von den vier Himmelsrichtungen aus durch Eingänge betreten werden, die innen durch kreisrunde Gänge verbunden sind, in deren Mitte man durch eine enge Stiege mehr kriechend als gehend nach oben gelangt. Dort, im arg versehrten Turm, sind drei Fenster erhalten: in Richtung Süden, Südwesten und Westen. So weit, so gut, nur werden die Himmelsrichtungen des Caracolebenso wenig exakt eingehalten, wie man Mühe hat, überhaupt irgendwo im Grundriss des Gebäudes auf einen rechten Winkel zu stoßen.
    Erklären lässt sich der merkwürdige Bau nur dann zufriedenstellend, wenn man ihn als Observatorium ansieht und für seine eigenwilligen Eigenschaften astronomische und kalendarische Funktionen sucht – dann jedoch geht sein Geheimnis auf wie eine schwierige, aber geduldig bewältigte Patience. Denn sowohl eine Nische in der Treppe zur ersten Plattform als auch zwei der drei erhaltenen Fenster der Turmruine dienten mit ihren schmalen Scharten der Beobachtung der Venus. Andere Achsen der scheinbar verunglückten Anlage können ebenfalls astronomischen Konstellationen zugeordnet werden, nicht nur der Venus, sondern auch der Sonne am Tag ihres Zenits oder ihres Aufgangs zur Sonnenwende. Aufwändige Untersuchungen, die den Nachthimmel zu jener Zeit simulierten, ergaben weitere mögliche Ausrichtungen des Gebäudes auf himmlische Erscheinungen. Die Interpretation als

Weitere Kostenlose Bücher