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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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fehlenden Hand kicherte. »Am besten, du fängst gleich an. Viel Zeit haste nich mehr.«
    Ich hörte Ruderschläge. Die Spitzbuben entfernten sich mit ihrem Boot. Ich war froh, sie los zu sein. Dann begann ich nachzudenken. Was sollte das Ganze eigentlich? Zunächst hatte ich geglaubt, sie wollten mich erschlagen, und sie taten es nicht. Dann hatte ich geglaubt, sie wollten mich ertränken, und sie taten es nicht. Stattdessen hatten sie mich wie eine Boje im Wasser festgezurrt. Die Oberfläche des Flusses reichte mir bis zur Schulter, ich konnte leidlich durch die Nase atmen, auch wenn der Sack mein Gesicht bedeckte. Fürs Erste, so schien es, war ich noch einmal mit dem Schrecken davongekommen. Die beiden Spitzbuben hatten sich mit mir einen Scherz erlaubt. Einen üblen Scherz, wahrscheinlich auf Geheiß irgendeines Neiders, der mich kannte, denn sie hatten mich »Harnglotzer« gerufen. Andererseits musste ich nur bis zum Morgen warten, dann würden die ersten Kähne wieder den Fluss beleben, und einer der Schiffer würde mich gewiss entdecken und befreien.
    Wenn das Wasser nur nicht so kalt wäre. Die Glieder wurden mir schon ganz taub. Gab es nicht doch jemanden, der nachts auf dem Neckar fuhr? Nein, die Fischer legten erst frühmorgens ab, um zu sehen, was ihnen über Nacht in die Netze gegangen war. Ich musste warten. Es würde sehr unangenehm werden, aber ich würde die Zeit irgendwie überstehen.
    Nein!
    Ich würde sie nicht überstehen.
    Ein Gedanke war mir gekommen, so furchtbar, dass mir fast das Herz stillstand. Die Flut! An sie hatte ich nicht gedacht. Sie würde kommen, unweigerlich. Sie würde kommen und Zoll um Zoll dafür sorgen, dass das Wasser an mir hochkroch. So lange, bis es mir in die Nase lief und mich erstickte. Das also hatten die Spitzbuben ausgeheckt!
    Ich begann, mit aller Kraft an meinen Fesseln zu zerren, bäumte mich auf, doch es war, als hielte mich eine Riesenfaust fest. Es gab kein Entrinnen. Ich würde sterben. Jämmerlich ersaufen. Sollte mein Leben schon zu Ende gehen? Ich war doch noch so jung. Gerade einundzwanzig Jahre alt. Es durfte nicht sein!
    Und doch war es so. Das Wasser stieg. Es hatte meinen Hals erreicht. Ich spürte, wie es ihn umschloss. Es war alles, was ich noch spürte. Mein ganzer Körper war ohne Gefühl. Wie abgestorben. Wieder wollte ich schreien, wollte meine ganze Verzweiflung in die Welt hinausschreien. Die Mundbirne verhinderte es.
    Ich fing an zu weinen. Ich wollte nicht weinen, aber es tat gut. Weinen tat so gut.
    Der Verstand meldete sich wieder. Er sagte: Ergib dich in dein Schicksal. Wehre dich nicht. Es ist sowieso umsonst. Bleibe ruhig. Odilie hättest du ohnehin nie bekommen. Was ist das Leben da noch wert.
    Wenn es so weit ist, halte die Luft an. Warum hältst du nicht jetzt schon die Luft an? Gönne dem verdammten Wasser nicht, in dich hineinzulaufen und dich zu ertränken. Gönne ihm den Triumph nicht.
    Ich kann es nicht. Ich muss atmen. Ich will leben!
    Wenn ich doch nur etwas sehen könnte!
    Lächerlich. Als ob es sich leichter stürbe, wenn man etwas sieht. Du musst ruhig bleiben.
    Wie kann ich ruhig bleiben, wenn das Wasser mir schon bis zum Kinn steht? Ich muss den Kopf in den Nacken legen. Dann kann ich noch eine Weile länger atmen. Und dann …?
    Großer Gott im Himmel, hilf mir! Ich kann nicht glauben, dass mein Lebensweg schon zu Ende sein soll. Hilf mir, und ich verspreche dir … was verspreche ich dir? Was kann ich versprechen, das zu halten ich später in der Lage sein werde? Ein Mönch zu werden wie Luther?
    Luther. Was würde er an meiner Stelle machen? Beten. Er würde beten, und es würde ihm Kraft und Zuversicht geben. Ich bete auch. Aber ich bin nicht zuversichtlich. Ich bin verzweifelt! Lieber Gott, so hilf mir doch!
    Ruderschläge. Hatte ich Ruderschläge gehört? Kein Zweifel, ja. Die Spitzbuben. Kamen die Spitzbuben zurück, um das zu tun, was das Wasser noch nicht geschafft hatte? Verfluchtes Pack!
    »
Salve, amicus.
Wenn mich nicht alles täuscht, bist du es. Der Erhabene, dessen Name gepriesen sei, hat mich zu dir geführt.«
    Fischel? Redeten die Spitzbuben jetzt schon mit Fischels Zunge? Welch abgrundtiefer Hohn. Verfluchtes, abgefeimtes Pack!
    »Ich werde dir die Fesseln durchschneiden und den Sack vom Körper reißen. Wer hat dich nur so verkleidet?«
    Fischel? War es wirklich Fischel, der da sprach?
    Plötzlich sah ich über mir Sterne und die Sichel des Mondes.
    »Du bist es tatsächlich,
amicus meus.
Ich werde

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