Der Medicus von Heidelberg
der Frau nieder. Nach ein paar Versuchen ertastete ich ihren Puls. »Sie lebt«, sagte ich erleichtert. »Schiebt ihr einen Schemel unter die Knie, damit das Blut in ihren Kopf zurücklaufen kann, und dann holt wärmende Decken.«
Mein Befehl wurde umgehend ausgeführt. Die Leute waren froh, etwas tun zu können, und akzeptierten mich als Arzt. Das tat mir gut, obwohl auch jeder andere diese einfachen Maßnahmen hätte ergreifen können.
Steissers Frau kam wieder zu sich. Sie schlug die Augen auf und erblickte den Becher mit Wasser in Thérèses Hand. Mit zitternden Lippen trank sie einen Schluck. »Da… danke.«
»Ist doch selbstverständlich«, sagte Thérèse.
»Ich möchte … in meine Kammer.«
»Soll ich helfen?«
»Das würdet Ihr tun?«
»Hab gerade nichts anderes vor.«
Mit Thérèses Hilfe und der Unterstützung einer Küchenmagd wurde Steissers Frau in ihre Kammer getragen. Der Fettwanst und ich blickten den Frauen nach. Er wollte wieder ein Gespräch mit mir beginnen, aber mein Bedarf war gedeckt, und das sagte ich ihm auch. Nach einer Weile kehrte die Küchenmagd zurück, deutete einen Knicks vor Steisser an und sagte: »Ich soll Euch ausrichten, Herr, dass Ihr heut Nacht woanders schlafen müsst. Der Wirt gibt Euch ’ne neue Kammer.«
Der Fettwanst wollte protestieren, aber die Magd war schon davongeeilt. Bevor er mit mir seine Empörung teilen konnte, ließ auch ich ihn stehen. Ich sehnte mich nach Ruhe und meinem Schlafplatz in der Kutsche.
Der Tag war anstrengend genug gewesen.
Als wir am nächsten Morgen gemeinsam auf dem Weg nach Heilbronn waren und Thérèse wieder neben mir auf dem Kutschbock saß, gähnte sie mehrmals ausgiebig.
»Bist du noch müde?«, fragte ich.
»Müde ist gar kein Ausdruck. Ich hab die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Hab neben Abeline gesessen und mit ihr geredet.«
»Abeline?«
»Steissers Frau. Du, ich sag dir, neben diesem Dicksack zu leben muss die Hölle sein. Er betrügt sie nach Strich und Faden. Sie tut mir richtig leid. Und sterbenskrank ist sie auch. Sie musste ein paarmal in ein Tuch husten, so, wie ich’s auch schon in der Kutsche beobachtet hab, aber diesmal ist Blut drin gewesen, hellrotes Blut, schrecklich!«
»Deshalb ist sie also bei eurem Streit umgefallen?«
»Sie sagt, ihr wär auf einmal schwarz vor Augen geworden. Kann sich an nichts erinnern, die Arme.«
»Vielleicht hat sie die Lungensucht. Das käme in der Tat einem Todesurteil gleich.«
»Es trifft eben immer die Falschen.«
Das klang wieder einmal etwas altklug aus Thérèses Mund, und ich musste lachen. »Da verstehe einer die Frauen! Gestern wart ihr euch noch spinnefeind, heute scheint ihr ein Herz und eine Seele zu sein.«
»Sie ist einsam und verzweifelt. Ich hätte Schnapp heute Nacht gut gebrauchen können, der ist so niedlich und so lustig. Bestimmt hätte er sie aufgeheitert. Du musst wissen, das Hochnäsige, das trägt sie nur vor sich her, weil sie immer so einsam und verzweifelt ist.«
»Ich verstehe.« Ich reichte Schnapp zu Thérèse hinüber. Wenn sie schon von ihm sprach, konnte sie sich auch ein wenig um ihn kümmern. Ich selbst hatte mit dem Lenken der Kutsche genug zu tun.
»Und weil sie so einsam und verzweifelt ist, hat sie mich gefragt, ob ich nicht zu ihr nach Würzburg kommen will, um ihr Gesellschaft zu leisten. Sie wohnt in einem riesigen Haus und hat Dutzende Diener und Zofen und Mägde. Ich wär ihre Freundin und eine Art Hausdame. Jedenfalls würde ich zur großen Gesellschaft gehören. Zur ganz großen. Ich hab gesagt, ich überleg’s mir. Die Frage ist doch, wer mich mehr braucht, die Tante in Heilbronn, die ich überhaupt nicht kenne, oder Abeline in ihrem schönen Haus in Würzburg. Ich glaube, ich weiß schon, was ich will.«
Das möge Gott verhüten!, dachte ich im Stillen. Doch bevor ich versuchen konnte, sie umzustimmen, kam ein Reiter wie aus dem Nichts von rechts herangaloppiert, griff Castor ins Zaumzeug und brachte unser Gefährt, ohne dass ich es hätte verhindern können, zum Stehen. Der Reiter musste ein Ritter sein, denn er trug Helm und Brustpanzer. Auf seinem Umhang erkannte ich ein Wappen mit zwei goldenen rotgekrönten Löwen im schwarzen Feld. Es war das kurpfälzische Wappen, wie ich später erfuhr.
»Ich muss Euch auffordern, den Weg frei zu machen«, sagte er nicht gerade freundlich.
Dafür sah ich keinen Grund. »Warum? Ich behindere niemanden.« Während ich das sagte, war ein zweiter, ganz ähnlich
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