Der Medicus von Heidelberg
Schwierigkeiten lag weniger in meiner äußeren Erscheinung, als vielmehr in meiner auffälligen Begleitung: Schnapp war in den vergangenen Monaten zu beeindruckender Größe herangewachsen und reichte mir fast bis zur Hüfte. Dass er trotz alledem lammfromm war, hatte die Hausordnung, die das Halten von Tieren verbot, nicht außer Kraft setzen können, und es hatte vieler guter Worte, des wiederholten Klimperns meiner Geldkatze sowie des Versprechens, Lateinlektionen umsonst zu erteilen, bedurft, um die ersehnte Unterkunft zu bekommen.
Dabei waren die Regeln in dieser Burse keineswegs so streng, wie ich sie aus Basel kannte, denn unter Studenten hieß es, im nüchternen Zustand nenne man sie »Burse zum St. Georg«, nach ein paar vollen Bechern spreche man von der »Georgenburse«, was ohnehin die meisten täten, und nach ein paar weiteren Bechern nur noch von der »Biertasche«.
Die Georgenburse hatte, wie alle Einrichtungen ihrer Art, einen Regenten, einen Vorsteher, ein paar Hilfskräfte und einen Koch, der die Bewohner mit seinen Künsten mehr oder weniger erfreute. Dazu eine beigeordnete Wäscherei, denn auf saubere Kleidung der Studenten wurde Wert gelegt. Die meisten unter ihnen hatten noch keine Graduierung. Sie stammten durchweg aus guten, bürgerlichen Familien und hatten bei ihrer Aufnahme sicher nicht solche Probleme gehabt wie ich.
Auch meine Immatrikulation, die am Tage zuvor erfolgt war, hatte ich mir einfacher vorgestellt, da ich noch im Besitz des Empfehlungsschreibens war, das mein Freund und Gönner Johann Heinrich Wentz an den Rektor der Universität Erfurt, den hochgeschätzten Justus Rating de Berka, gerichtet hatte. De Berka, der gleichzeitig Ordinarius für Medizin war, hatte mich auch leutselig in seinem Hause empfangen und sich eingehend nach Wentz erkundigt, dann jedoch, als es darum ging, wie er mich bei der Eintragung in das Studentenverzeichnis unterstützen könne, bedauernd abgewinkt. »Mein lieber Nufer«, hatte er gesagt. »Ich wünschte, ich könnte, wie ich wollte. Aber wie Ihr sicher wisst, fängt in Erfurt das Wintersemester im September an, und mein Rektorat lief mit dem Sommersemester ab. Nun ist Professor Paulus Huthenne im Amt, ein Ordinarius für Theologie, der bei aller Glaubensstrenge für seine Gutherzigkeit bekannt ist. Leider kann ich nicht über seinen Kopf hinweg entscheiden. Ich vermag nicht zu sagen, wie er sich zu der Tatsache stellen wird, dass Ihr außer einem Empfehlungsschreiben an mich keinerlei Schriftstücke für Eure Befähigung zum Medizinstudium beibringen könnt. Doch versucht nur Euer Glück bei ihm.«
Daraufhin war ich zu dem neuen Rektor gegangen, dessen prächtiges Haus in der Allerheiligenstraße lag. Eine Bedienstete ließ mich nach mehrmaligem Klopfen ein und beäugte mich misstrauisch. Der Grund dafür lag in meinem Aufzug, denn ich trug die Kleider eines Stallknechts. Auch Huthenne, der in seinem Studierzimmer inmitten von Büchern, Folianten und Pergamentrollen thronte, musterte mich zunächst mit zweifelnder Miene. Doch meine wohlgesetzten Worte, dazu die Tatsache, dass ich alle seine Fragen in fließendem Latein beantworten konnte und ich ihn darüber hinaus davon zu überzeugen wusste, die
Artes liberales
nach der Methode der
Via moderna,
also ebenjener, die auch an der Erfurter Universität gelehrt wurde, studiert zu haben, ließ die Mauer seiner Ablehnung nach und nach bröckeln. Am Ende bat er mich sogar, mir in allen Einzelheiten zu schildern, wie ich den langen und vermutlich gefahrvollen Weg von Basel nach Erfurt bewältigt hätte und wie mir die weiteren Empfehlungsschreiben der Herren Ladislaus Ulricher, dem Rektor der Basler Universität, sowie Christoph von Utenheim, dem Bischof von Basel, verlorengegangen seien.
»Auch dazu will ich Euch gern Auskunft geben«, antwortete ich und nahm mir vor, ihm auf keinen Fall die ganze Geschichte zu erzählen. Allein die Begegnung mit meiner Prinzessin, die eine leibhaftige Tochter von Philipp dem Aufrichtigen war, hätte der fromme Huthenne ganz sicher in das Reich der Fabeln verwiesen. Also beschränkte ich mich auf die Geschehnisse nach der schmerzlichen Trennung von Odilie und behauptete, zu Beginn hätte ich eine zwar abwechslungsreiche, jedoch wenig erwähnenswerte Kutschfahrt gehabt. Dann allerdings, kurz vor Heilbronn, sei etwas geschehen, das meine ganze weitere Reise beeinflussen sollte. Ich machte eine Pause, um Huthennes Aufmerksamkeit nochmals zu steigern, und fuhr fort:
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