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Der Medicus von Saragossa

Titel: Der Medicus von Saragossa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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gerne ihre Geheimnisse enträtseln würde.
    Und jetzt hat er mir einen Neuen Christen geschickt.« Jona nahm eins der Bücher zur Hand, und seine Augen wanderten über die Schriftzeichen, die er so lange nicht gesehen hatte. Sie erschienen ihm fremd und unvertraut, und in seiner freudigen Erregung war es ihm, als würden sie sich in zuckende Schlangen verwandeln.
    »Habt Ihr noch andere Bücher von Maimonides?« fragte er heiser. Was würde ich geben für ein Exemplar des Mischne Tora, dachte er. Abba hatte dieses Buch besessen, in dem Maimonides den jüdischen Glauben in seiner Gesamtheit darlegte und all das beschrieb, was Jona verloren hatte.
    Leider schüttelte Nuño Fierro den Kopf.
    »Nein, es gab noch mehrere andere Bücher, aber die nahmen Gabriel Montesas Söhne bei ihrer Abreise mit.« Er sah Jona neugierig an. »Seid Ihr in der Lage, diese zu übersetzen?« Jona starrte die Seite an. Die Schlangen wurden wieder zu den geliebten Schriftzeichen, aber... »Ich weiß es nicht«, sagte er zweifelnd. »Früher beherrschte ich die hebräische Sprache fließend, aber ich habe sie seit langer Zeit nicht mehr gelesen und auch sonst kaum benutzt.« Vier lange Jahre.
    »Wollt Ihr bei mir bleiben und es versuchen?«
    Jona war überwältigt von diesem Wiedersehen mit der Sprache seines Vaters.
    »Eine Weile will ich bleiben«, sagte er.
    Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er mit dem Maimonides begonnen, denn das Buch war schon sehr alt und die Seiten trocken und brüchig, aber Nuño Fierro war neugierig auf den Avicenna, und so fing Jona mit diesem Buch an.
    Anfangs war er unsicher, ob er die Übersetzung schaffen würde. Aber er arbeitete sehr bedächtig, Wort für Wort, Gedanke um Gedanke, und allmählich wurden die Zeichen, die ihm einst so vertraut gewesen waren, aufs neue vertraut.
    »Und? Was meint Ihr?« fragte der Arzt nach dem ersten Tag. Jona konnte nur die Achseln zucken.
    Die hebräischen Schriftzeichen weckten Erinnerungen an die Lehrstunden seines Vaters, wie er ihm die Bedeutung der Worte erklärt hatte und was sie aussagten über die Beziehung des Menschen zu anderen Menschen, zu Gott und zur Welt.
    Er erinnerte sich an den Klang zittriger alter Stimmen und kräftiger junger Stimmen, die zusammenfanden zu heiserem Gesang, zu Liedern der Freude und den traurigen Tönen des Kaddisch. Teile des Gottesdienstes, Bruchstücke von Versen, die er für immer verloren geglaubt hatte, stiegen aus den Tiefen seines Gedächtnisses auf wie Samen, die der Wind aus den Blüten bläst. Die hebräischen Worte, die er übersetzte, sprachen von Kiefersperre und Rippenfellentzündung und Mitteln zur Schmerzlinderung, und doch brachten sie ihm Gesang und Poesie und Inbrunst zurück, die er in der Roheit seines Erwachsenwerdens verloren hatte.
    Einige Wörter kannte er einfach nicht, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als den hebräischen Begriff in den spanischen Satz aufzunehmen. Aber früher hatte er diese Sprache sehr gut beherrscht, und langsam kehrte sie wieder zurück.
    Nuño Fierro drückte sich neugierig in Jonas Nähe herum. »Wie geht es voran?« fragte er jeden Abend. »Allmählich mache ich Fortschritte«, konnte Jona ihm schließlich sagen.
    Nuño Fierro war ein ehrlicher Mann und beeilte sich deshalb, Jona zu sagen, daß Saragossa für Juden früher ein sehr gefährlicher Ort gewesen war.
    »Die Inquisition kam bald und mit großer Unbarmherzigkeit«, sagte er.
    Im Mai 1484 hatte Torquemada zwei Inquisitoren für Saragossa ernannt. Die beiden Geistlichen waren so versessen darauf, widerspenstige Juden aufzuspüren und hinzurichten, daß sie ihr erstes Autodafe abhielten, ohne zuvor das Gnadenedikt ausgegeben zu haben, das es abtrünnigen Neuen Christen eigentlich ermöglichen sollte, ein freiwilliges Geständnis abzulegen und dadurch Milde zu erreichen. Am 3. Juni standen die ersten Konvertierten auf dem Scheiterhaufen, und die Leiche einer Frau wurde aus ihrem Grab geholt und ebenfalls verbrannt.
    »Damals lebten in Saragossa gute Männer, Mitglieder der Diputación de Aragón, des Ständerats, die darüber empört waren. Sie wandten sich an den König und behaupteten, Torquemadas Ernennungen und Hinrichtungen seien ungesetzlich und die Beschlagnahme jüdischen Eigentums verletze die fueros, die Gesetze des Königreichs Aragõn. Sie hatten nichts gegen Ketzereiprozesse einzuwenden«, sagte Nuño Fierro, »forderten aber, die Inquisition müsse sich bemühen, Sünder mit den Mitteln der Unterweisung

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