Der Meister des Siebten Siegels: Roman (German Edition)
Ritzeisen, Sumpfeisen, Fimmel, Keil, Plötz und Legeeisen. Gegenüber an der Mauer Ritzfäustel, Handfäustel, Treibefäustel, das zweihändige Treibefäustel, Großfäustel und die hölzernen Stiele passend für jedes Eisen. Unten in den Kisten liegen die Eisen zum Durchschlagen, das Brecheisen und die Brechstange. Weniger vorhanden sind die Geräte, die für das Aufschlagen neuer Stollen vonnöten sind, wie die Keilhaue, die Kratze und die Schaufel. An der Stirnwand, kunstvoll zusammengesteckt, stapeln sich Tonnen, Kübel, Körbe und Ledersäcke, eiserne Bügel, Reifen, Stäbe sowie Unmengen an eisernen Hacken und Förderseilen.
Ein Privileg, das ich durchaus zu schätzen weiß, sind die reichlichen Mahlzeiten, die uns Agatha, die Witwe eines Truhenläufers, täglich zum Schichtwechsel kocht.
Kein Privileg, aber besonders lieb von ihr, daß sie mir darüber hinaus mein Bergmannsleder pflegt. Mein Arschleder, die Lederschuhe, der Lederumhang, die lederne Gugelhaube, ausgestopft mit weichen Tüchern, damit der Kopf keine Beulen bekommt, glänzen vor Fett, als ich mich umziehe.
Zur halben Zeit der Schicht bin ich mit dem Bergmeister verabredet, dann, wenn alle Huntenläufer aus dem Sigmund-Stollen sind.
Die vierundzwanzig Tag- und Nachtstunden werden geteilt in drei Schichten zu je sieben Stunden. Drei Stunden sind zwischen den Schichten eingeschoben, in denen die Bergleute zu den Stollen und Mundlöchern kommen oder den Berg verlassen. Von 4 Uhr morgens bis 11 Uhr dauert die erste Schicht; die zweite beginnt um 12 und endet um 19 Uhr. Früh- und Mittagsschicht ergeben die Tagschichten. Die dritte ist die Nachtschicht, sie nimmt mit der achten Abendstunde ihren Anfang und endet um 3 Uhr früh.
»Im Berg gibt es nur die Nachtschicht«, hörte ich gestern einen Lehenhäuer sagen, als er auf dem Weg zur Siedlung seinen Nachbarn traf, der meinte, er hätte es mit der Tagschicht besser getroffen als er selbst, da er schon den ganzen Monat in der Geisterschicht arbeitete.
Bergmeister Reisländer ist an der Krame eingetroffen, gerade als ich meine Grubenlampe, voll mit Unschlitt, in die Hand gedrückt bekomme.
»Glück und Heil, Schiener Dreyling!«
»Glück und Heil, Bergmeister«, grüße ich zurück.
Reisländer ist seit über 30 Jahren mit dem Berg vertraut. Er hat das Stollensystem im Kopf, als wenn das Berggebäude, wie er den Falkenstein oft nennt, von ihm allein aufgeschlagen worden wäre. »Der Fuchsbau hat 220 Eingänge«, berichtete er uns vor Tagen, da er die Mundlöcher unlängst hatte zählen lassen. Mit allen Stollen, Schächten und Gängen ergibt das ein Labyrinth von gut 53 Meilen, jede Meile zu 4430 Lachter, allein im Falkenstein. Von der Talsohle bis zur Gipfelkuppe des Mehrer Kopfes erreicht das Grubengebäude im Berg eine vermessene Höhe von 794 Lachter.
»Das Erz heil heimbringen«, das ist eine der Lieblingswendungen von ihm, wenn er mit den Knappen spricht.
Zweifellos steckt hinter dieser Aufforderung eine Strecke leidvoller Erfahrungen. Aber noch nie wurde ein Unglück abgewendet durch Zurückhaltung der Knappen beim Aufschlagen neuer Stollen oder beim Abteufen neuer Schächte; noch nie wurde ein Leben im Berg dadurch gerettet, daß man immerfort an die Möglichkeit des Todes dachte, damit das Erz heil heimgebracht wird.
Reisländer neigt von Natur aus zur Vorsicht und hat so alle Klugheit auf seiner Seite. Sein Wort, seine Entscheidungen werden uneingeschränkt von jedermann befolgt! Bei der Verleihung der Bergbaurechte für Grubenfelder, Fundgruben und Gruben jeglicher Größe blieb Reisländer fehlerlos, besonders auch bei der Vergabe von Adern an die Lehenhäuer, die im Gegensatz zu der Masse der Knappen, die als Herrenhäuer für die Gewerken arbeiten, gegen eine Art Pacht selbständig Vorkommen ausbeuten.
Seine Sicherheit, sein Scharfsinn, sein Instinkt für den Berg haben ihm schon vor langer Zeit den Ruf eingetragen, er könne Gefahren förmlich riechen … Und wenn er sich auch ruhig und zuversichtlich, ja sogar ein wenig locker gibt, so kenne ich ihn gut genug, um zu bemerken, daß ihm die Lage im Raber-Liegendbau ebenso unheimlich ist wie dem Bergschrat Peter Gstein und mir.
»Dreyling«, ruft er beim Eintreten in die Krame, »habt Ihr Eure Himmelsrichtungen dabei?«
»Gewiß, Bergmeister. Nur habe ich sie heute durch die Winde ausgetauscht …«
»Winde? – Durch welche Winde denn?«
»Subsolanus, Favonius, Auster und Septentrio …«, zähle ich mit gespieltem Ernst
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