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Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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hämmern begann, als wolle es schier zerspringen.
    Nachdem sechs Minuten verstrichen waren, hob er den Kopf, blickte hinüber zum Altar, stand auf und begab sich zum hinteren Ende der Kirche, wo die Wissbegierigen sich versammelten.
    Unten in der Krypta herrschte ein anderer Geruch – uralt, feucht und erdig, doch keineswegs unangenehm. Der Hauch des Altertums, so fuhr es dem Priester durch den Sinn. Ein Mönch mit mürrischer Miene führte die sechsköpfige Besuchergruppe durch einen schmalen Durchlass und ein Eisentor in die aus fünf Kammern bestehenden Katakomben, welche die sterblichen Überreste von viertausend Kapuzinermönchen beherbergten.
    Ein Beinhaus.
    Jede verfügbare Wand und Decke war verkleidet mit barocken Dekorationen, alle bestehend aus den morschen, gebleichten Gebeinen hingeschiedener Klosterbrüder. Altäre, Kerzenleuchter und Uhren – allesamt Reliefs aus Schädeln und Menschenknochen.
    Der dickliche Priester hörte kaum hin, als der klösterliche Fremdenführer mit leiernder Stimme erklärte, die grausigen Wandverschalungen bestünden aus den Gebeinen verblichener Mitbrüder, welche im 17. und 18. Jahrhundert gelebt hatten. Das Ossarium, so sein Hinweis, sei aber nicht zum Gruseln gedacht, sondern solle vielmehr zu Gebet und frommer Betrachtung anregen.
    Obwohl der Priester das Beinhaus nicht zum ersten Mal betrat, erstaunte es ihn immer wieder, wie diese Abertausende von Schädeln, Rippen, Kiefern, Ellen, Speichen, Schien- und Wadenbeinen, Hüftschalen und Wirbeln jegliche Ähnlichkeit mit menschlichen Überresten verloren und sich zu einem Medium gewandelt hatten, zu einem Spektakel für Knochenkünstler.
    Nach Ende der Führung folgte er den anderen Touristen brav wieder nach oben, zur Kirche hinaus und auf die Straße, dabei sorgsam die sich auflösende Gruppe im Auge behaltend. Niemand blieb noch auf der Treppe stehen; alles verteilte sich. Als er sicher sein konnte, dass alle fort waren, schlenderte er zur Straßenecke und ging noch einmal wie schon auf dem Hinweg an den fliegenden Händlern vorbei. Diesmal jedoch ganz langsam und aufmerksam.
    Der Erste hockte hinter einem provisorischen Tisch voller kitschiger Italien-Andenken: schiefe Türme von Pisa, bronzene Petersdome, Kühlschrankmagneten mit der herrlichen Deckenmalerei der Sixtinischen Kapelle. Der nächste Tresen war zu einem Laden für Handtaschen und Aktenköfferchen umfunktioniert. Lederwaren in allen vorstellbaren Formen und Farben reihten sich verlockend aneinander, und allem Anschein nach brummte das Geschäft. Der dritte Händler verkaufte billige Imitate von exquisitem Schmuck, vorwiegend protzige Halsketten aus Kopien römischer Münzen, aber auch perlenbesetzte Silber- und Goldkettchen sowie Ohrgehänge mit Brillantimitaten daran – für Straßenware alles von erstaunlicher Qualität.
    Der Priester nahm ein Silbercollier und ließ es durch die Finger gleiten. Sechs gläserne, edelsteinähnliche Anhänger baumelten an den wuchtigen Kettengliedern. Rubine, Smaragde und Saphire.
    “Gucci”, behauptete der Händler, offensichtlich ein Afrikaner.
    Der Priester nickte schmunzelnd. “Gucci? Wirklich?”
    “Kopie molto bene”, fügte der Verkäufer in holprigem Italienisch hinzu. “Nix teuer.”
    “Haben Sie drei? Alle gleich?”
    Der Straßenhändler nickte, griff unter den Tresen und zog zunächst eine, dann eine zweite und eine dritte Kopie hervor, alle in Etuis mit aufgedrucktem Designer-Logo und elegantem Schriftzug, ganz so, als kämen sie aus echten Edel-Boutiquen. Fast, wenn auch nicht ganz genau, doch immerhin so gekonnt raubkopiert, dass der Unterschied erst im direkten Vergleich zum echten Markenprodukt aufgefallen wäre.
    Der Preis wurde ausgehandelt und beglichen. Der Verkäufer ließ die Scheine in seiner Schürze verschwinden und sah zu, wie der Kunde die Halsketten in seine Aktentasche steckte und davonging.
    An der Straßenkreuzung bog der Priester ab, betrat dann die nächste Bar und genehmigte sich einen Espresso zum ehrenden Andenken an die verstorbenen Kapuzinerbrüder.
    Er legte die Aktentasche auf den Tresen und stützte die Ellbogen darauf, so gut wie überzeugt, dass ihm niemand zur Kirche gefolgt war. In der Beziehung hatte er vorgesorgt. In die Gruft war ihm auf jeden Fall niemand nachgekommen, und es sah auch nicht so aus, als habe jemand in der Nähe herumgelungert oder gesehen, wie er das Touristenschnäppchen erstanden hatte.
    Der Kaffee war heiß und stark. Er trank ihn rasch aus und

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