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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Gedichtbandes dahingegangen wäre.«
    Diese Meinung fand Beifall, denn am ganzen Tisch war keiner älter als vierundzwanzig, und alle warfen sich mit Begeisterung auf das Thema. Endlich einmal herrschte Einigkeit. Der Gedanke wurde weitergesponnen. Einer schlug vor, einen großen Scheiterhaufen aus den Werken der vierzig Akademiker zu errichten und die großen Viktorianer an ihrem vierzigsten Geburtstag hineinzuwerfen. Man war begeistert. Carlyle und Ruskin, Tennyson, Browning, G. F. Watts, E. B. Jones, Dickens und Thackeray wurden den Flammen übergeben; desgleichen Mr.   Gladstone, John Bright und Cobden; es gab eine kurze Diskussion über George Meredith, aber Matthew Arnold und Emerson wurden ohne weiteres preisgegeben. Endlich kam Walter Pater an die Reihe.
    »Walter Pater nicht«, murmelte Philip.
    Lawson starrte ihn einen Augenblick mit seinen grünen Augen an und nickte.
    »Sie haben ganz recht, Walter Pater ist die einzige Rechtfertigung für die Mona Lisa. Kennen Sie Cronshaw? Er kannte Pater.«
    »Wer ist Cronshaw?«, fragte Philip.
    »Cronshaw ist ein Dichter. Er lebt in Paris. Gehen wir in die Lilas.«
    La Closerie des Lilas war ein Café, das sie oft nach dem Abendessen besuchten, und hier war Cronshaw in den Stunden zwischen neun Uhr abends und zwei Uhr nachts verlässlich anzutreffen. Aber Flanagan hatte genug von intellektuellen Gesprächen und wandte sich nun Philip zu.
    »Ach, gehen wir doch lieber irgendwohin, wo es Mädchen gibt. Kommen Sie mit mir in die Gaîté Montparnasse. Wir wollen uns betrinken.«
    »Ich habe eigentlich mehr Lust, Cronshaw kennenzulernen und nüchtern zu bleiben«, sagte Philip lachend.
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    Man brach auf. Flanagan und zwei, drei andere gingen ins Varieté, während Philip mit Clutton und Lawson langsam zur Closerie des Lilas spazierte.
    »In die Gaîté Montparnasse führen wir Sie ein anderes Mal«, sagte Lawson. »Es lohnt sich. Sie werden sehen. Für mich gehört es zum Schönsten, was es in Paris gibt. Ich werde es demnächst malen.«
    Philip war durch Haywards Einfluss gewohnt, auf Varietés und derartige Vergnügungsstätten mit Verachtung herabzusehen, allerdings traf er zu einer Zeit in Paris ein, als die künstlerischen Möglichkeiten des Tingeltangels gerade entdeckt worden waren. Die Eigentümlichkeiten der Beleuchtung, die Anhäufung von verschossenem Rot und verblasstem Gold, die schweren Schatten und die barocken Dekorationen boten ein neues Feld, und in den meisten Ateliers hingen Skizzen, die in diesem oder jenem Theater angefertigt worden waren. Die Schriftsteller stimmten in den Lobgesang der Maler mit ein und konnten plötzlich die künstlerischen Werte des Varietés gar nicht genug preisen. Rotnasige Clowns wurden in den Himmel gelobt, und dicke Sängerinnen, die jahrzehntelang unbeachtet ihre Chansons ins Publikum gebrüllt hatten, wurden ihrer unnachahmlichen Drolligkeit wegen entdeckt; es gab Leute, die sich für dressierte Hunde begeisterten, und andere wieder erschöpften ihr Vokabular, um die hervorragenden Leistungen von Zauberern und Radfahrkünstlern zu preisen. Auch das Publikum: die Menschheit als Masse, die Philip mit Hayward stets verachtenswert fand, wurde zum Gegenstand wohlwollenden Interesses. Clutton und Lawson sprachen mit Enthusiasmus von dem Menschengewirr, das die verschiedenen Rummelplätze von Paris erfüllte, von dem Meer von Gesichtern, halb sichtbar in dem grellen Licht der Azetylenlampen, halb in der Dunkelheit verborgen, von dem Schmettern der Trompeten, dem Quieken der Pfeifen, dem Durcheinanderschwirren der Stimmen. Was sie sagten, war für Philip neu und merkwürdig. Sie erzählten ihm von Cronshaw.
    »Haben Sie je etwas von ihm gelesen?«
    »Nein«, sagte Philip.
    »Einiges ist in The Yellow Book erschienen.«
    Sie betrachteten Cronshaw auf dreierlei Weise, wie es so häufig der Fall ist zwischen Malern und Schriftstellern: mit Geringschätzung, weil er ein Laie war, mit Toleranz, weil er auch ein Künstler war, und mit Ehrfurcht, weil er in einer Disziplin zu Hause war, auf die sie sich nicht verstanden.
    »Er ist ein außerordentlicher Mensch. Anfangs werden Sie vielleicht etwas enttäuscht von ihm sein. Er geht erst aus sich heraus, wenn er betrunken ist.«
    »Und leider braucht er furchtbar lange, ehe er so weit kommt«, fügte Clutton hinzu.
    Als sie das Café erreicht hatten, erklärte Lawson, dass sie hineingehen müssten. Es war kaum eine Spur von Kälte zu spüren, aber Cronshaw hatte eine krankhafte Angst

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