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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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die Concerts Rouges statt, wo man für fünfundsiebzig Centimes ausgezeichnete Musik hören konnte und dazu noch etwas Genießbares zu trinken bekam. Die Stühle waren unbequem, es war überfüllt, die Luft war stickig vom schweren Tabak, aber in ihrem jugendlichen Enthusiasmus war ihnen das gleichgültig. Manchmal gingen sie zum Bal Bullier. Bei diesen Gelegenheiten schloss sich ihnen Flanagan an. Sein Temperament und seine lärmenden Begeisterungsausbrüche brachten sie zum Lachen. Er war ein ausgezeichneter Tänzer, und man war noch keine zehn Minuten im Saal, so stolzierte er schon mit irgendeinem kleinen Ladenmädchen einher, dessen Bekanntschaft er eben gemacht hatte.
    Alle hatten sie den einen großen Wunsch, eine Geliebte zu haben. Das gehörte mit zum Inbegriff des Kunstschülers in Paris. Es gab einem Ansehen in den Augen der Kollegen. Es war etwas, womit man sich wichtig machen konnte. Die Schwierigkeit war bloß die, dass die meisten kaum Geld genug besaßen, um für sich selbst zu sorgen – und tröstete man sich auch damit, dass Französinnen so geschickt mit Geld umzugehen verstanden, dass das Leben für zwei Personen nicht mehr kostete als für eine, so war es doch nicht ganz leicht, junge Damen aufzutreiben, die diese Auffassung teilen wollten. Zumeist mussten sie sich damit begnügen, mit neidvollen Blicken die Damen von Malern, die bereits zu einigem Ruhm gelangt waren, zu beäugen. Man hätte es nicht für möglich gehalten, wie schwierig diese Dinge in Paris waren. So lernte Lawson etwa irgendeine junge Person kennen und traf eine Verabredung mit ihr; vierundzwanzig Stunden war er Feuer und Flamme und beschrieb jedem, den er traf, ausführlich die Reize seiner Schönen; aber niemals kam es vor, dass sie auch wirklich zur festgesetzten Zeit an dem verabredeten Ort erschien. Dann fand er sich sehr spät und in übelster Laune bei Gravier ein und rief:
    »Verflucht noch einmal, wieder eine Pleite! Ich weiß wirklich nicht, warum diese Weiber mich nicht mögen. Vielleicht, weil ich nicht gut Französisch spreche – oder ist es mein rotes Haar? Eine Schande, ein Jahr in Paris verbracht zu haben, ohne dass etwas passiert!«
    »Du fängst es nicht richtig an«, meinte dann Flanagan.
    Er hatte eine lange und beneidenswerte Liste von Triumphen vorzuweisen, und obgleich man nicht alles glauben durfte, was er vorbrachte, konnte doch nicht alles erlogen sein. Aber er suchte keine dauernde Verbindung. Er konnte nur zwei Jahre in Paris bleiben: Er hatte seine Familie überredet, ihn ziehen zu lassen, um malen zu lernen, anstatt zu studieren; aber nach zwei Jahren musste er nach Seattle zurückkehren und in das Geschäft seines Vaters eintreten. Er hatte sich vorgenommen, in diesem Zeitraum möglichst viel zu erleben, und strebte eher nach Abwechslung als nach Beständigkeit in der Liebe.
    »Ich weiß nicht, wie ich an sie herankommen soll«, rief Lawson wütend.
    »Das ist die geringste Schwierigkeit, mein Junge. Da heißt es einfach: zupacken. Bedeutend schwerer ist es, sie loszuwerden. Da braucht man Takt.«
    Philip war viel zu sehr mit seiner Arbeit, den Büchern, die er las, den Theaterstücken, die er sah, den Gesprächen, denen er zuhörte, beschäftigt, als dass ihn der Wunsch nach weiblicher Gesellschaft beunruhigt hätte. Dafür war genügend Zeit, wenn er erst einmal besser Französisch sprach.
    Es war nun über ein Jahr her, dass er mit Miss Wilkinson zusammen gewesen war, und während seiner ersten Wochen in Paris war er nicht dazugekommen, einen Brief zu beantworten, den sie ihm kurz vor seiner Abreise von Blackstable geschrieben hatte. Einen zweiten, der in kurzem Abstand folgte, ließ er ungeöffnet liegen, weil er Vorwürfe fürchtete und sich die Laune nicht verderben lassen wollte. Er nahm sich vor, ihn später einmal zu öffnen, aber dann vergaß er es, und erst einen Monat später, als er in einer Lade nach einem Paar Socken ohne Löcher kramte, fiel er ihm wieder in die Hände. Er erschrak. Sicherlich hatte Miss Wilkinson viel gelitten, und er kam sich grob und rücksichtslos vor, aber wahrscheinlich war sie mittlerweile darüber hinweg, zumindest über das Schlimmste. Er hatte den Eindruck, dass Frauen ihre Gefühle häufig sehr überschwenglich zum Ausdruck brachten; es hatte nicht so viel zu bedeuten wie bei Männern. Er war fest entschlossen, sie nie im Leben wiederzusehen. Nun hatte er so lange nicht geschrieben, dass es ihm sinnlos schien, die Korrespondenz noch einmal aufzunehmen.

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