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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Jünglingen, die am Kaffeetisch seine Weisheiten in sich aufnahmen, war es unbegreiflich, dass Cronshaw mit seinem scharfen Geist und seiner leidenschaftlichen Ästhetik sich mit Wesen zusammentun konnte. Aber anscheinend schwelgte er in der ordinären Drastik ihrer Ausdrucksweise, und oft gab er irgendeine Phrase zum Besten, die nach der Gosse roch. Sprach er von seiner Gefährtin, so nannte er sie ironisch la fille de mon concierge. Cronshaw war sehr arm. Er verdiente das Nötigste, indem er für ein paar englische Zeitungen über Ausstellungen schrieb und ziemlich viel übersetzte. Eine Zeitlang war er in Paris bei einer englischen Zeitung angestellt gewesen, aber wegen Trunksucht entlassen worden. Er schrieb noch immer Artikel für sie über die Verkäufe im Hôtel Drouot oder die Revuen in den Tanztheatern. Das Pariser Leben hatte es ihm angetan, und trotz aller Unsauberkeit, Plackerei und Mühsal hätte er es mit keinem andern auf der Welt tauschen wollen. Er blieb das ganze Jahr in der Stadt, auch im Sommer, wenn alle seine Bekannten fort waren, und fühlte sich nur im Umkreis des Boulevard St.   Michel wohl. Verwunderlich war aber, dass er nie gelernt hatte, halbwegs passabel Französisch zu sprechen, und in seinen schäbigen, bei La Belle Jardinière gekauften Anzügen ein unausrottbar englisches Äußeres beibehielt.
    Anderthalb Jahrhunderte früher, als die Kunst der Rhetorik ein Passierschein für den Eintritt in die gute Gesellschaft galt und Trunksucht noch nichts Degradierendes war, hätte er es vielleicht zu Ruhm und Ansehen gebracht.
    ›Ich hätte im achtzehnten Jahrhundert leben sollen‹, sagte er zu sich selbst. ›Ich wünschte, ich hätte einen Gönner. Ich hätte meine Gedichte auf Bestellung herausbringen und sie einem Adeligen widmen sollen. Ich sehne mich danach, Couplets über den Pudel einer Gräfin zu schreiben. Meine Seele schmachtet nach der Liebe von Kammerzofen und nach den Gesprächen mit Bischöfen.‹
    Er zitierte den Romantiker Rolla:
    »Je suis venu trop tard dans un monde trop vieux.«
    Er freute sich, wenn er neue Gesichter sah, und entwickelte eine Vorliebe für Philip, der das schwierige Kunststück fertigbrachte, gerade genug zu sprechen, um die Unterhaltung in Gang zu halten, und doch nicht zu viel, um einen Monolog zu verhindern. Philip war fasziniert. Er erkannte nicht, dass wenig von dem, was Cronshaw sagte, wirklich neu war. Seine Persönlichkeit entwickelte im Gespräch eine seltsame Macht. Er hatte eine schöne, klangvolle Stimme und eine Art, die Dinge vorzubringen, die für junge Menschen unwiderstehlich war. Alles, was er sagte, regte zum Denken an, und oft kam es vor, dass Lawson und Philip auf dem Heimweg zwischen ihren beiden Wohnungen hin- und herpendelten und ein Problem besprachen, das Cronshaw mit einem zufällig hingeworfenen Wort angerissen hatte. Es verwirrte Philip mit seinem jugendlichen Verlangen nach Resultaten, dass Cronshaws Gedichte den allgemeinen Erwartungen kaum entsprachen. Sie waren nie in einem Band gesammelt worden, sondern vereinzelt in Zeitschriften erschienen. Nach langem Zureden brachte Cronshaw ein Bündel von Seiten mit, die aus verschiedenen Magazinen gerissen waren, auf denen jeweils eines seiner Gedichte stand. Philip stellte mit Bestürzung fest, dass die meisten entweder an Henley oder an Swinburne erinnerten. Nur durch die Kraft von Cronshaws Vortrag hatten sie eine persönliche Note. Er äußerte seine Enttäuschung Lawson gegenüber, der Philips Worte achtlos weitergab; und als Philip das nächste Mal in der Closerie des Lilas erschien, wandte sich der Dichter mit seinem listigen Lächeln an ihn:
    »Ich höre, Sie halten nicht viel von meinen Gedichten.«
    Philip wurde verlegen.
    »Das kann ich nicht sagen«, antwortete er. »Ich habe sie mit großem Vergnügen gelesen.«
    »Bemühen Sie sich nicht, meine Gefühle zu schonen«, meinte Cronshaw mit einer schwungvollen Geste seiner fetten Hand. »Ich messe meinen poetischen Versuchen keine übertriebene Bedeutung bei. Das Leben ist da, um gelebt zu werden, und nicht, damit man darüber schreibt. Mein Ziel ist, den vielfältigen Möglichkeiten, die es bietet, nachzuspüren und jedem Augenblick abzuringen, was er an Erlebenswertem enthält. Ich betrachte meine Schriftstellerei als eine anmutige Kunst, die das Dasein nicht aufzehrt, sondern verschönt. Und was die Nachwelt anbelangt – sie kann mir gestohlen bleiben.«
    Philip lächelte, denn niemand konnte übersehen, dass der

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