Der Menschen Hoerigkeit
Modellporträts, aber sie hatten eine gewisse Kraft. Clutton, der nach Vollkommenheit strebte, hatte keine Geduld mit Werken, die eine gewisse Unschlüssigkeit verrieten, und erklärte es für die reinste Impertinenz, derartige Dinge auszustellen. Und er blieb auch bei seiner Meinung, als die beiden Köpfe angenommen wurden. Auch Flanagan versuchte sein Glück, aber ohne Erfolg. Mrs. Otter sandte ein untadeliges Portrait de ma Mère ein, brav und zweitrangig, und es wurde an einen sehr guten Platz gehängt.
Hayward, den Philip seit Heidelberg nicht mehr gesehen hatte, kam auf ein paar Tage nach Paris, und zwar gerade rechtzeitig, um an dem Fest teilzunehmen, das Lawson und Philip zur Feier der Annahme von Lawsons Bildern in ihrem Atelier gaben. Philip hatte sich sehr auf das Wiedersehen mit Hayward gefreut, als sie sich aber endlich trafen, konnte er sich einer gewissen Enttäuschung nicht erwehren. Hayward hatte sich äußerlich etwas verändert. Sein feines Haar war spärlicher geworden, und rasch alternd, wie es bei sehr hellhäutigen Menschen häufig der Fall ist, wurde er welk und farblos; seine Augen waren blasser als früher, und seine Züge hatten etwas Langweiliges. Geistig hingegen war er der Gleiche geblieben, und die Bildung, die einst so gewaltigen Eindruck auf den achtzehnjährigen Philip gemacht hatte, rief bei dem Einundzwanzigjährigen eher Geringschätzung hervor. Er selbst hatte eine große Wandlung durchgemacht, und da er mit Hohn auf seine früheren Ansichten über Kunst, Literatur und das Leben zurückblickte, brachte er keine Geduld auf für Menschen, die noch an ihnen festhielten. Er war sich nicht bewusst, dass er vor Hayward etwas angeben wollte, aber als er Hayward durch die Galerien führte, breitete er all die revolutionären Ideen vor ihm aus, die ihm selbst erst seit so wenigen Monaten geläufig waren. Er führte ihn vor Manets Olympia und sagte theatralisch:
»Alle alten Meister, mit Ausnahme von Velázquez, Rembrandt und Vermeer, gebe ich für dieses eine Bild.«
»Wer war Vermeer?«, fragte Hayward.
»Oh, mein Freund, das weißt du nicht? Dann musst du ihn augenblicklich kennenlernen. Er war der Einzige, der wie ein Moderner gemalt hat.«
Und er schleppte Hayward aus dem Luxembourg hinaus und brachte ihn in den Louvre.
»Gibt es denn hier sonst keine Bilder mehr zu sehen?«, fragte Hayward mit der Leidenschaft des Touristen für Vollständigkeit.
»Nichts von entscheidender Bedeutung. Du kannst herkommen und dir die Bilder mit dem Baedeker allein ansehen.«
Als sie beim Louvre angekommen waren, führte Philip seinen Freund durch die lange Galerie.
»Ich möchte La Gioconda sehen«, meinte Hayward.
»Ach, mein lieber Junge, das ist ja alles Literatur«, war Philips Antwort.
Endlich, in einem kleinen Zimmer, blieb Philip vor der Spitzenklöpplerin von Vermeer van Delft stehen.
»Da. Das ist das beste Bild im Louvre. Es kann jedem Manet an die Seite gestellt werden.«
Mit ausdrucksstarkem, beredtem Fingerzeig verbreitete sich Philip über das entzückende Werk. Er bediente sich mit überwältigender Wirkung des Jargons der Ateliers.
»Ich kann eigentlich gar nichts so Wunderbares daran finden«, sagte Hayward.
»Gott, es ist wohl ein Bild für Maler«, entgegnete Philip. »Ich verstehe sehr gut, dass ein Laie nicht viel darin sieht.«
»Ein was?«
»Ein Laie.«
Wie die meisten Menschen, die sich für die Künste interessieren, war es Hayward im höchsten Grade wichtig, recht zu haben. Er war dogmatisch Leuten gegenüber, die keine eigenen Ansichten hatten, aber sehr bescheiden, wo er auf feste Meinungen stieß. Philips sichere Haltung imponierte ihm gewaltig, und er nahm widerspruchslos die anmaßende These hin, dass nur ein Maler berufen sei, über Werke der Malerei zu urteilen.
Ein paar Tage später gaben Philip und Lawson ihre Feier. Cronshaw erklärte sich ausnahmsweise bereit, an ihrem Festmahl teilzunehmen. Miss Chalice erbot sich zu kochen. Sie hatte kein Interesse für ihr eigenes Geschlecht und wollte nichts davon wissen, dass man ihr zuliebe noch andere Mädchen einlade. Clutton, Flanagan, Potter und zwei andere waren die übrigen Gäste. Da es an Möbeln fehlte, musste das Podium für das Modell als Tisch dienen, während die Gäste je nach Belieben auf Koffern oder auf dem Fußboden sitzen sollten. Das Festessen bestand aus einem pot-au-feu, von Miss Chalice zubereitet, mit einer Hammelkeule, die in dem Restaurant um die Ecke gebraten und warm und
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