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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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meiner Geburt.«
    »Fünfzehn Francs«, kroch der bärtige Mann.
    »Heb dich von dannen, Bursche«, rief Cronshaw. »Mögen wilde Esel das Grab deiner Großmutter besudeln.«
    Unerschütterlich, aber nun nicht mehr lächelnd, zog der Levantiner weiter zu einem anderen Tisch. Cronshaw wandte sich Philip zu.
    »Waren Sie je im Museum von Cluny? Dort werden Sie persische Teppiche finden, in den erlesensten Farben und wundervoll verschlungenen Mustern, die das Auge entzücken und in Staunen versetzen. In ihnen werden Sie das Geheimnis und die sinnliche Schönheit des Orients sehen, die Rosen von Hafis und den Becher Omars; aber bald werden Sie mehr sehen. Sie haben eben gefragt, was der Sinn des Lebens sei: Gehen Sie hin und schauen Sie jene persischen Teppiche an, und eines Tages wird Ihnen die Antwort offenbar werden.«
    »Sie sind rätselhaft«, sagte Philip.
    »Ich bin betrunken«, antwortete Cronshaw.
    46
     
    Philip fand das Leben in Paris nicht so billig, wie es ihm geschildert worden war, und hatte bis Februar den größten Teil des mitgebrachten Geldes aufgebraucht. Er war zu stolz, sich an seinen Vormund zu wenden, und Tante Louisa sollte nicht von seiner Verlegenheit erfahren, denn er war überzeugt, dass sie ihm sonst aus eigener Tasche aushelfen würde, wenn es ihr auch noch so schwerfiele. In drei Monaten würde er volljährig und könnte über sein kleines Vermögen verfügen. Er half sich über die Zwischenzeit hinweg, indem er die wenigen Schmuckstücke verkaufte, die er von seinem Vater geerbt hatte.
    Zu jener Zeit etwa machte Lawson Philip den Vorschlag, gemeinsam ein kleines, in einer Seitenstraße des Boulevard Raspail gelegenes Atelier zu mieten. Es war sehr billig. Ein anschließender Raum, der mit dazugehörte, konnte als Schlafzimmer verwendet werden. Und da Philip jeden Vormittag in der Schule zu tun hatte, stand das Atelier in diesen Stunden Lawson uneingeschränkt zur Verfügung. Lawson hatte sich, nachdem er von Schule zu Schule gewandert war, zu der Überzeugung durchgerungen, dass er am besten allein arbeiten konnte. Drei- oder viermal wöchentlich wollte er ein Modell kommen lassen. Anfangs zögerte Philip wegen der Kosten, aber er und Lawson rechneten so lange (in dem sehnlichen Wunsch nach einem eigenen Atelier nicht sehr genau), bis sie zu dem Ergebnis kamen, dass sie nicht viel mehr brauchen würden als in einer Pension. Was es an Miete und Putzdienst der concierge mehr kosten würde, könnten sie beim petit déjeuner einsparen, das sie sich selbst zubereiten würden. Noch vor ein oder zwei Jahren hätte sich Philip geweigert, ein Zimmer mit jemandem zu teilen, weil er seines verkrüppelten Fußes wegen sehr empfindlich war; aber nun schenkte er diesem nicht mehr so viel krankhafte Aufmerksamkeit: In Paris schien das bedeutend weniger auszumachen, und obwohl er selbst es niemals vergaß, hatte er nicht mehr das Gefühl, dass andere Leute ständig darauf achteten.
    Sie zogen ein, kauften zwei Betten, einen Waschtisch und ein paar Stühle und erlebten zum ersten Mal die stolze Freude des Besitzes. Als sie sich am ersten Abend in ihrem neuen eigenen Heim zu Bett legten, waren sie so aufgeregt, dass sie bis drei Uhr morgens wach lagen und sich unterhielten; und das Feueranzünden und Kaffeekochen am nächsten Morgen und dann das gemütliche Frühstück, das sie im Pyjama einnahmen, machte ihnen solchen Spaß, dass Philip erst gegen elf Uhr zu Armitrano kam. Er war glänzender Laune und nickte Fanny Price vergnügt zu.
    »Na, geht’s gut vorwärts?«, fragte er.
    »Was geht Sie das an?«, war die Antwort.
    Philip musste lachen.
    »Springen Sie mir nicht gleich ins Gesicht. Ich habe mich nur bemüht, höflich zu sein.«
    »Ich will Ihre Höflichkeit nicht.«
    »Müssen Sie denn auch noch mit mir einen Streit beginnen?«, fragte Philip milde. »Sie sprechen doch ohnehin nur mit wenigen Menschen.«
    »Das geht Sie nichts an.«
    »Natürlich.«
    Er fing an zu arbeiten und fragte sich, warum sich Fanny Price so schroff und unangenehm benahm. Er war zu dem Schluss gelangt, dass er sie nicht leiden konnte. Niemand konnte sie leiden. Man ließ sie es nicht offen merken, aus Angst vor ihrer boshaften Zunge, denn sie nahm kein Blatt vor den Mund. Heute jedoch war Philip so glücklich, dass er keine Feindseligkeit um sich her ertrug. Nicht einmal Fanny Price sollte böse auf ihn sein. Er griff zu der List, mit deren Hilfe es ihm schon häufig gelungen war, Fannys schlechte Laune zu

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