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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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meiner Arbeit?«
    »Ich kenne zu wenig von Ihnen, um mir ein Urteil zu bilden.«
    »Möchten Sie sich nicht einmal meine anderen Arbeiten ansehen? Ich habe sie noch nie jemandem gezeigt. Aber Ihnen…«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, sehr gerne.«
    »Ich wohne ganz in der Nähe«, sagte sie entschuldigend. »Es sind höchstens zehn Minuten.«
    »Oh, in Ordnung«, sagte er.
    Sie führte ihn den Boulevard entlang, bog in eine Seitenstraße ein und wieder in eine andere, ärmliche, mit billigen Läden im Erdgeschoss der Häuser und blieb endlich stehen. Sie stiegen Stockwerk um Stockwerk hinauf. Dann schloss sie eine Tür auf, und sie betraten eine winzige Dachkammer mit schrägem Plafond und einem kleinen Fenster. Dieses war geschlossen, und ein muffiger Geruch erfüllte das Zimmer. Obgleich es sehr kalt war, brannte kein Feuer, und kein Zeichen verriet, dass je geheizt wurde. Das Bett war ungemacht. Ein Stuhl, eine Kommode, die auch als Waschtisch diente, und eine billige Staffelei bildeten die ganze Einrichtung. Der Raum wäre an und für sich schon trostlos genug gewesen, aber Unsauberkeit und Unordnung gaben ihm etwas geradezu Abstoßendes. Auf dem Kaminsims standen in einem Durcheinander von Farben und Pinseln eine Tasse, ein schmutziger Teller und eine Teekanne.
    »Stellen Sie sich bitte dort hinüber. Dort können Sie besser sehen.«
    Sie zeigte ihm ungefähr zwanzig kleine Ölbilder. Sie stellte sie nacheinander auf einen Stuhl und beobachtete sein Gesicht; er nickte bei jedem und blieb zunächst stumm.
    »Sie gefallen Ihnen doch?«, fragte sie nach einer Weile ängstlich.
    »Ich möchte sie mir zuerst alle ansehen, ehe ich meine Meinung äußere.«
    Er versuchte sich zu sammeln. Er war entsetzt. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Nicht nur, dass diese Bilder schlecht gezeichnet und die Farben dilettantisch aufgetragen waren von jemandem, der kein Auge dafür hatte; es war auch nicht der geringste Versuch gemacht, die Farbwerte zu erfassen, und die Perspektive war grotesk. Die Bilder sahen aus wie von einem fünfjährigen Kind gemalt, aber ein Kind wäre wenigstens naiv gewesen und hätte sich bemüht festzuhalten, was es sah; dies aber waren die Arbeiten eines gewöhnlichen Geistes, vollgepfropft mit Erinnerungen an gewöhnliche Bilder. Philip erinnerte sich, dass Fanny begeistert über Monet und die Impressionisten gesprochen hatte – hier sah er nichts als die schlimmsten Traditionen der Royal Academy.
    »So«, sagte sie endlich. »Nun haben Sie alle gesehen.«
    Philip war nicht ehrlicher als andere Menschen, aber hier fiel es verteufelt schwer, eine glatte, durch nichts zu beschönigende Lüge auszusprechen; er errötete heftig, als er antwortete: »Ich finde Ihre Bilder ausgezeichnet.«
    Ein schwaches Rot stieg in Fannys ungesunde Wangen, und sie lächelte ein wenig.
    »Sie brauchen es nicht zu sagen, wenn Sie es nicht wirklich meinen. Ich möchte die Wahrheit hören.«
    »Ich bin ganz aufrichtig.«
    »Haben Sie nichts zu kritisieren? Es können Ihnen doch nicht alle gleich gut gefallen haben.«
    Philip blickte hilflos umher. Er sah eine Landschaft, das typische malerische Motiv des Dilettanten, eine alte Brücke, eine efeuumsponnene Hütte und laubbeschattete Ufer.
    »Ich möchte mir kein Urteil anmaßen«, sagte er, »aber bei diesem hier scheinen mir die Farbwerte nicht ganz erfasst.«
    Sie wurde dunkelrot, nahm das Bild und drehte es rasch um.
    »Merkwürdig, dass Sie gerade dieses bemäkeln müssen. Es ist das beste, das ich je gemacht habe. Und an den Farbwerten ist bestimmt nichts auszusetzen; das ist etwas, das man nicht lernen kann. Entweder man versteht es oder eben nicht.«
    »Nein, nein. Die Bilder sind wirklich alle sehr gut«, beschwichtigte Philip.
    Sie betrachtete sie mit befriedigtem Ausdruck.
    »Ich brauche mich ihrer nicht zu schämen, das glaube ich auch.«
    Philip schaute auf die Uhr.
    »Oh, es ist spät geworden. Wollen Sie nicht mit mir essen?«
    »Nein danke. Mein Essen steht schon bereit.«
    Philip konnte nichts davon sehen, nahm jedoch an, dass die concierge es heraufbringen würde. Er war bestrebt, so rasch wie möglich wegzukommen. Die muffige Luft des Zimmers verursachte ihm Übelkeit.
    47
     
    Im März kam der aufregende Termin der Bildereinsendung für den Salon. Clutton hatte charakteristischerweise nichts fertig und verhielt sich sehr spöttisch gegenüber den beiden Köpfen, die Lawson einschickte; es waren unverkennbar Schülerarbeiten, ehrliche

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