Der Menschen Hoerigkeit
jenen Tagen eine altmodische, aus einer einzigen Straße bestehende Stadt am Rande des Waldes von Fontainebleau und das Ecu d’Or ein Hotel, das noch etwas von der versunkenen Atmosphäre des Ancien Régime an sich hatte. Es schaute auf den gewundenen Flusslauf des Loing hinab, und Miss Chalice hatte ein Zimmer mit einer kleinen Terrasse, die auf das Wasser hinausging und von der aus man eine entzückende Aussicht auf eine alte Brücke und ihre befestigte Zufahrt genoss. Hier saßen die drei am Abend nach dem Essen, tranken Kaffee, rauchten und sprachen über Kunst. In den Fluss mündete in einiger Entfernung ein schmaler, von Pappeln bestandener Kanal, an dessen Ufern sie nach des Tages Arbeit häufig spazieren gingen. Sie malten von früh bis abends. Wie die meisten ihrer Generation waren sie geplagt von der Angst vor dem Pittoresken und kehrten den allzu deutlichen Schönheiten der Stadt den Rücken, um Gegenstände zu suchen, die nichts von jener Gefälligkeit hatten, die sie verachteten. Sisley und Monet hatten den Kanal mit seinen Pappeln gemalt, und Lawson, Philip und Miss Chalice fühlten den Wunsch, sich an einem Motiv zu versuchen, das so typisch für Frankreich war, aber sie fürchteten seine formale Schönheit und bemühten sich, diese zu umgehen. Miss Chalice, die sehr geschickt war – womit sie Lawson trotz seiner Geringschätzung für weibliche Kunst beeindruckte –, begann ein Bild, in dem sie das Alltägliche zu vermeiden suchte, indem sie die Spitzen der Bäume aussparte, und Lawson verfiel auf die glänzende Idee, ein großes blaues Chocolat-Menier-Werbeplakat in den Vordergrund zu setzen, um seine Abscheu für solche Schokoladenschachteln zu betonen.
Philip fing nun an, in Öl zu malen. Es war ein beseligendes Gefühl, als er zum ersten Mal den Pinsel in die dankbaren Farben tauchte. Des Morgens ging er mit Lawson hinaus ins Freie, saß neben ihm und malte. Es machte ihm solche Freude, dass er nicht merkte, dass seine Arbeit nicht mehr war als eine bloße Kopie. So sehr war er von dem Freund beeinflusst, dass er nur noch mit seinen Augen sah. Lawson malte sehr gedämpft im Ton, und mit ihm sah Philip das Smaragdgrün der Wiesen wie dunklen Samt, während der strahlende Glanz des Himmels sich unter seinen Händen in ein tiefes Ultramarin verwandelte. Den ganzen Juli hindurch hatten sie einen schönen Tag nach dem andern; es war sehr heiß, und die Hitze brannte sich in Philips Herz und machte ihn matt und sehnsüchtig; er konnte nicht arbeiten, tausend Gedanken beschäftigten ihn. Oft verbrachte er die Vormittage am Ufer des Kanals, im Schatten der Pappeln, las ab und zu ein paar Zeilen, um dann halbe Stunden lang zu träumen. Manchmal mietete er ein wackliges Rad und fuhr die staubige Straße entlang, die in den Wald führte, und legte sich auf einer Lichtung ins Gras. Sein Kopf war voll von romantischen Phantasien. Es war ihm, als sehe er die Damen von Watteau heiter und unbeschwert mit ihren Kavalieren unter den prächtigen Bäumen wandeln, einander leichtfertige, entzückende Dinge zuflüsternd und doch bedrückt von einer namenlosen Angst.
Sie waren die einzigen Gäste im Hotel, mit Ausnahme einer dicken Französin mittleren Alters, einer Figur von Rabelais, mit einem breiten, obszönen Lachen. Sie verbrachte ihre Tage am Fluss, geduldig nach Fischen angelnd, die sie nie fing, und Philip setzte sich manchmal neben sie und unterhielt sich mit ihr. Er entdeckte, dass sie einem Gewerbe angehört hatte, dessen bekannteste Vertreterin in unserer Generation Mrs. Warren gewesen war. Sie hatte es zu einem gewissen Wohlstand gebracht und führte nun das ruhige Leben einer bourgeoise. Sie erzählte Philip schlüpfrige Geschichten.
»Sie müssen nach Sevilla gehen«, sagte sie – sie sprach ein wenig Englisch –, »dort gibt es die schönsten Frauen der Welt.«
Sie zwinkerte und nickte, und ihr Doppelkinn und ihr dicker Bauch wackelten vor Lachen.
Es wurde so heiß, dass es fast unmöglich war, nachts zu schlafen. Die Hitze lastete unter den Bäumen wie etwas Körperliches. Die drei konnten sich abends nicht von dem sternhellen Himmel trennen und saßen schweigend Stunde um Stunde auf Ruth Chalices Terrasse, zu müde zum Sprechen, und genossen die köstliche Stille. Sie lauschten auf das Murmeln des Flusses. Die Uhr schlug eins, zwei und manchmal drei, ehe sie sich entschließen konnten, zu Bett zu gehen. Mit einem Mal merkte Philip, dass Ruth Chalice und Lawson einander liebten. Er
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