Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
Vom Netzwerk:
erkannte es an der Art, wie das Mädchen den jungen Maler anblickte, und an dessen beanspruchender Haltung; wenn Philip mit ihnen zusammensaß, fühlte er eine Aura, die sie umgab, als wäre die Luft von etwas Seltsamem erfüllt. Die Entdeckung war ein Schock für ihn. Er hatte Miss Chalice als einen sehr guten Kameraden betrachtet, und es machte ihm Freude, mit ihr zu sprechen. Nie aber wäre er auf den Gedanken gekommen, in eine nähere Beziehung mit ihr zu treten.
    Eines Sonntags waren sie alle mit einem Picknickkorb in den Wald gegangen, und als sie zu einer geeigneten Lichtung kamen, bestand Miss Chalice darauf, Schuhe und Strümpfe auszuziehen, weil sie es so idyllisch fand. Dies hätte sehr reizend sein können, aber ihre Füße waren ziemlich groß, und auf der dritten Zehe beider Füße hatte sie ein großes Hühnerauge. Philip war der Meinung, dass dies ihr Gebaren ein wenig lächerlich machte. Nun aber sah er sie plötzlich in einem anderen Licht. Es war etwas zärtlich Weibliches in ihren großen Augen und ihrer olivfarbenen Haut; er schalt sich einen Narren, dass er nicht früher gemerkt hatte, wie attraktiv sie war. Er meinte bei ihr einen Hauch von Verachtung zu spüren, weil er sie nicht gebührend wahrgenommen hatte, und bei Lawson eine Ahnung von Überlegenheit. Lawson beneidete er und war eifersüchtig auf ihn, nicht so sehr wegen dieses Mädchens, sondern weil er überhaupt eine Freundin hatte. Er wünschte, er würde an Lawsons Stelle stehen, mit seinem Herzen fühlen. Er war aufgewühlt, und Angst packte ihn, dass die Liebe an ihm vorübergehen könnte. Er wollte von Leidenschaft ergriffen werden, er wollte von den Beinen gefegt werden und machtlos von einem gewaltigen Strom hinweggetragen werden, egal wohin. Ruth Chalice und Lawson waren nun nicht mehr die Gleichen für ihn, und das ständige Zusammensein mit ihnen machte ihn unruhig. Er war unzufrieden mit sich selbst. Das Leben gab ihm nicht, was er sich wünschte, und er hatte das unbehagliche Gefühl, seine Zeit zu vergeuden.
    Die dicke Französin erriet sehr bald, in welcher Beziehung Ruth und Lawson zueinander standen, und sprach darüber zu Philip mit der größten Freimütigkeit.
    »Und Sie«, fragte sie mit dem nachsichtigen Lächeln einer Frau, die von der Lust ihrer Mitmenschen gelebt hatte, »haben Sie keine petite amie ?«
    »Nein«, entgegnete Philip errötend.
    »Warum denn nicht? C’est de votre âge. «
    Er zuckte die Achseln. Mit einem Band Verlaine schlenderte er davon. Er versuchte zu lesen, aber seine Unruhe war zu groß. Er dachte an die Art von Liebschaften, die er durch Flanagan kennengelernt hatte, an die verstohlenen Besuche in gewissen Häusern, die samtgepolsterten Salons und die käuflichen Reize geschminkter Weiber. Er schauderte. Er warf sich ins Gras und streckte die Glieder wie ein eben vom Schlaf erwachtes Tier. Das plätschernde Wasser, die sanft vom Wind bewegten Pappeln und der blaue Himmel schienen mehr, als er ertragen konnte. Er war verliebt in die Liebe. In der Phantasie fühlte er die Küsse warmer Lippen auf den seinen und um seinen Hals die Berührung weicher Hände. Er träumte sich in die Arme von Ruth Chalice und dachte an ihre dunklen Augen und die wunderbare Klarheit ihrer Haut; er war verrückt, sich ein solch wunderbares Abenteuer entgehen zu lassen. Wenn es Lawson gelungen war, warum nicht auch ihm. Aber so dachte er nur, wenn er sie nicht sah, wenn er nachts wach lag oder müßig am Kanal saß und vor sich hin träumte; stand er ihr jedoch gegenüber, dann war alles dahin; er fühlte nicht mehr den Wunsch, sie zu umarmen, und konnte sich nicht vorstellen, sie zu küssen. Es war äußerst seltsam. War sie nicht da, hielt er sie für schön und erinnerte sich nur an ihre bezaubernden Augen und an die milchige Blässe ihrer Haut; war er aber mit ihr zusammen, sah er nur, dass sie flachbrüstig war und keine guten Zähne hatte; er konnte die Hühneraugen auf ihren Zehen nicht vergessen. Er verstand sich selbst nicht. Würde er immer nur aus der Ferne lieben und nicht imstande sein zu genießen, wenn sich ihm die Gelegenheit bot, wegen jener unseligen Schärfe seines Blickes, die das Abstoßende übertrieb und steigerte?
    Er bedauerte es nicht, als ein Wetterumsturz das Ende des langen Sommers ankündigte und sie alle nach Paris zurücktrieb.
    48
     
    Als Philip zu Armitrano zurückkehrte, stellte er fest, dass Fanny Price nicht mehr da war. Sie hatte den Schlüssel zu ihrem Fach abgegeben. Er

Weitere Kostenlose Bücher