Der Menschen Hoerigkeit
den Tag legte; aber Philip wusste, dass ihn nichts glücklicher machen würde als Cluttons Lob. Clutton betrachtete eine Zeitlang schweigend das Porträt und warf dann einen Blick auf Philips Bild, das danebenstand.
»Was ist das?«, fragte er.
»Ach, ich habe auch einen Versuch gewagt.«
»Der geschäftige Affe«, murmelte Clutton.
Er wandte sich aufs Neue Lawsons Leinwand zu. Philip errötete, sagte aber nichts.
»Nun, was hältst du davon?«, fragte Lawson endlich.
»Es ist sehr plastisch«, meinte Clutton, »und sehr gut gezeichnet.«
»Glaubst du, dass die Farbwerte richtig sind?«
»Vollkommen.«
Lawson lächelte beglückt.
»Ich bin so froh, dass es dir gefällt.«
»Das tut es nicht. Ich finde es vollkommen belanglos.«
Enttäuschung zeigte sich auf Lawsons Gesicht, und er starrte Clutton erstaunt an. Er hatte keine Ahnung, was er meinte. Clutton besaß nicht die Gabe, sich in Worten auszudrücken, und sprach, als bereitete es ihm große Anstrengung. Was er vorbrachte, war verworren, lahm und schwülstig; aber Philip kannte die Gedankengänge, die seiner weitschweifigen Rede zugrunde lagen. Clutton, der nie etwas las, hatte sie von Cronshaw. Er mochte sie anfangs ziemlich achtlos hingenommen haben, aber mit einem Mal waren sie vor ihm aufgestiegen wie eine Offenbarung: Für einen guten Maler gab es zwei große Gegenstände: den Menschen und das Streben seiner Seele. Die Impressionisten waren mit anderen Problemen beschäftigt gewesen. Sie hatten wunderbare Menschen gemalt, aber sie hatten sich so wenig wie die englischen Porträtmaler des achtzehnten Jahrhunderts um das Wesen ihrer Seele gekümmert.
»Ja, aber wenn man das versucht, wird man literarisch«, unterbrach ihn Lawson. »Wenn ich den Menschen malen könnte wie Manet, dann kann sich das Streben seiner Seele zum Teufel scheren.«
»Das wäre alles gut und schön, wenn du Manet mit seinen eigenen Waffen schlagen könntest, aber du kommst ihm nirgends auch nur nahe. Du kannst nicht vom Vorgestrigen zehren; das ist ausgebrannte Erde. Du musst zurückgehen. Als ich die Grecos gesehen habe, habe ich gefühlt, dass aus einem Porträt mehr herauszuholen ist, als wir vorher je geglaubt haben.«
»Das heißt, zu Ruskin zurückkehren.«
»Nein, Ruskin verlangte Moral. Ich schere mich überhaupt nicht um Moral. Was mir vorschwebt, hat nichts mit Ethik und solchen Dingen zu tun, sondern mit Leidenschaft und Gefühl. Die großen Porträtmaler haben beides gemalt: den Menschen und das Wesen seiner Seele; Rembrandt und El Greco; zweitrangige Maler haben nur den Menschen gemalt. Eine Lilie wäre selbst dann schön, wenn sie keinen Duft verströmte; aber sie ist wunderbar, weil sie duftet. Dieses Bild« – er zeigte auf Lawsons Porträt –, »Gott, es ist gut gezeichnet, und es ist plastisch, aber es ist konventionell; es sollte so gezeichnet und so modelliert sein, dass man sofort fühlt, das Mädchen ist eine schlampige Hure. Korrektheit: gut und schön. Aber El Greco hat seine Leute acht Fuß hoch gemalt, weil er etwas ausdrücken wollte, was anders nicht auszudrücken war.«
»Deinen Greco soll der Teufel holen«, rief Lawson. »Was habe ich davon, dass du mir stundenlang Wunderdinge über ihn erzählst, wenn man nie ein Bild von ihm zu sehen kriegt.«
Clutton zuckte die Achseln, rauchte schweigend eine Zigarette und ging. Philip und Lawson sahen einander an.
»An dem, was er gesagt hat, ist etwas dran«, sagte Philip.
Lawson starrte verdrossen auf sein Bild.
»Wie, zum Teufel, soll man das Streben der Seele darstellen, außer man malt genau das, was man sieht?«
Ungefähr um diese Zeit schloss Philip eine neue Bekanntschaft. Montag früh versammelten sich die Modelle in der Schule, und dann wurde eines von ihnen für die Woche ausgesucht. Eines Tages nun fiel die Wahl auf einen jungen Mann, der offensichtlich kein Berufsmodell war. Er erweckte Philips Aufmerksamkeit durch die Art, wie er sich hielt. Er stand fest auf beiden Beinen, aufrecht, mit geballten Fäusten, den Kopf trotzig nach vorne geworfen; die Pose brachte seinen schönen Körper zur Geltung; es war kein Fett an ihm, und seine Muskeln zeichneten sich ab, als wären sie aus Eisen. Sein Kopf mit dem kurzgeschorenen Haar war wohlgeformt, und er trug einen kurzen Bart. Er hatte große dunkle Augen und schwere Augenbrauen. Stunde um Stunde hielt er eine Pose ohne Zeichen von Müdigkeit. In seiner Miene lag ein Gemisch von Scham und Entschlossenheit. Die leidenschaftliche Energie,
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