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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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fragte Mrs.   Otter, ob sie etwas von ihr wüsste, und Mrs.   Otter antwortete mit einem Achselzucken, dass sie wahrscheinlich nach England zurückgekehrt sei. Philip war erleichtert. Ihre Verdrießlichkeit war ihm äußerst lästig gewesen. Überdies hatte sie darauf bestanden, ihm Ratschläge bei seiner Arbeit zu geben, nahm es ihm übel, wenn er ihren Anweisungen nicht folgte, und wollte nicht einsehen, dass er sich nicht mehr für den Stümper hielt, der er zu Anfang gewesen war. Bald hatte er Fanny vollkommen vergessen. Er arbeitete jetzt in Öl und war voller Enthusiasmus. Er hoffte, bis zum Frühjahr etwas Ordentliches fertigzubringen, um es für den Salon einzuschicken. Lawson malte ein Porträt von Ruth Chalice. Sie eignete sich sehr gut zum Malen, und alle jungen Männer, die ihren Reizen zum Opfer gefallen waren, hatten sie porträtiert. Eine natürliche Trägheit, verbunden mit einer Leidenschaft für malerische Posen, machte sie zu einem ausgezeichneten Modell; und sie brachte genug Wissen mit, um nützliche Kritik anbringen zu können. Da ihre Leidenschaft für Kunst hauptsächlich eine Leidenschaft war, das Künstlerleben zu leben, hatte sie nichts dagegen, ihre eigene Arbeit zu vernachlässigen. Sie liebte die Wärme des Ateliers und die Möglichkeit, unzählige Zigaretten zu rauchen; und sie sprach mit leiser, angenehmer Stimme von der Liebe zur Kunst und der Kunst der Liebe. Sie machte keinen genauen Unterschied zwischen diesen beiden Dingen.
    Lawson malte mit unendlichem Fleiß. Tagelang arbeitete er, bis er kaum mehr stehen konnte, um dann alles wieder auszuradieren. Niemand außer Ruth Chalice hätte die Geduld aufgebracht, ihm zu sitzen. Schließlich wusste er nicht mehr aus noch ein.
    »Es bleibt mir nichts anderes übrig, als eine neue Leinwand anzufangen. Jetzt weiß ich genau, was ich will, und ich werde nicht mehr lange brauchen«, rief er.
    Philip war gerade anwesend, und Miss Chalice meinte:
    »Warum malen Sie mich nicht auch? Sie können eine Menge lernen, wenn Sie Mr.   Lawson zusehen.«
    Es war eine von Ruth Chalices Finessen, dass sie ihre Liebhaber stets mit dem Familiennamen anredete.
    »Ich würde es furchtbar gerne tun, wenn Lawson nichts dagegen hat.«
    »Mich kümmert das verdammt wenig«, sagte Lawson.
    Es war das erste Mal, dass sich Philip an ein Porträt heranwagte, und er machte sich mit Herzklopfen, aber auch mit Stolz ans Werk. Er saß neben Lawson und malte, wie er Lawson malen sah. Er lernte an dem Beispiel und an dem Rat, den sowohl Lawson als Miss Chalice ihm bereitwillig zuteil werden ließen. Endlich wurde Lawson fertig und lud Clutton ein, um seine Kritik zu hören. Clutton war eben nach Paris zurückgekehrt. Von der Provence hatte er einen Abstecher nach Spanien gemacht, um in Madrid die Bilder von Velázquez zu sehen, und von da aus war er nach Toledo weitergefahren. Dort blieb er drei Monate und kam mit einem Namen zurück, der all den jungen Leuten neu war: Er erzählte Wunderdinge von einem Maler El Greco, der, wie es schien, nur in Toledo studiert werden konnte.
    »Ach ja, ich habe von ihm gehört«, meinte Lawson. »Er ist der alte Meister, der so schlecht gemalt hat wie die Modernen.«
    Clutton, schweigsamer denn je, antwortete nicht, sondern sah Lawson mit zynischem Blick an.
    »Werden Sie uns die Bilder zeigen, die Sie aus Spanien mitgebracht haben?«, fragte Philip.
    »Ich habe in Spanien nicht gemalt. Ich hatte zu viel zu tun.«
    »Wieso?«
    »Ich habe alles gründlich überdacht. Ich glaube, ich bin fertig mit den Impressionisten; in ein paar Jahren werden sie uns sehr dünn und oberflächlich erscheinen. Ich will alles auslöschen, was ich gelernt habe, und von vorne anfangen. Bei meiner Rückkehr habe ich alles vernichtet, was ich gemalt hatte. In meinem Atelier habe ich nichts außer meiner Staffelei, meinen Farben und ein paar leeren Leinwandstücken.«
    »Und was wollen Sie machen?«
    »Das weiß ich noch nicht genau. Ich habe nur eine leise Ahnung von dem, was ich will.«
    Er sprach langsam, sonderbar, als strengte er sich an, etwas zu hören, was nur eben vernehmlich war. Es war, als lebe eine geheimnisvolle Macht in ihm, die er selbst nicht begriff und die dumpf danach rang, einen Ausgang zu finden. Seine Kraft hatte etwas Imposantes. Lawson fürchtete die Kritik, um die er gebeten hatte, und war bemüht, dem Tadel, der ihm möglicherweise drohte, von vornherein die Spitze zu nehmen, indem er eine große Verachtung für Cluttons Meinung an

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