Der Menschen Hoerigkeit
die aus ihm sprach, erregte Philips romantische Phantasie, und als er ihn nach Schluss der Sitzung in Kleidern sah, fand er, dass er aussah wie ein König in Lumpen. Er war schweigsam und verschlossen, aber nach ein paar Tagen konnte Mrs. Otter mitteilen, dass er Spanier war und nie zuvor Modell gesessen hatte.
»Wahrscheinlich hat er gehungert«, mutmaßte Philip.
»Haben Sie seine Kleider bemerkt? Sie sind sehr ordentlich und sauber, nicht?«
Zufällig ergab es sich, dass Potter, einer von den Amerikanern, die bei Armitrano arbeiteten, für ein paar Monate nach Italien ging und Philip sein Atelier zur Verfügung stellte. Philip freute sich. Er begann Lawsons Bevormundung als lästig zu empfinden und wollte allein sein. Gegen Ende der Woche ging er zu dem Spanier hin und fragte ihn, unter dem Vorwand, dass seine Zeichnung noch nicht fertig sei, ob er ihm noch einen Tag sitzen könnte.
»Ich bin kein Modell«, antwortete dieser. »Ich habe in der nächsten Woche keine Zeit.«
»Dann kommen Sie doch jetzt mit mir essen, damit wir alles Weitere besprechen«, sagte Philip, und als der andere zögerte, fügte er mit einem Lächeln hinzu: »Das werden Sie mir doch nicht abschlagen?«
Mit einem Achselzucken willigte das Modell ein, und sie gingen miteinander in eine crèmerie. Der Spanier sprach ein gebrochenes Französisch, fließend, aber etwas schwer verständlich, aber Philip kam ganz gut damit zurecht. Es stellte sich heraus, dass er Schriftsteller war. Er war nach Paris gekommen, um Romane zu schreiben, und verdingte sich unterdessen durch jede Art von Beschäftigung, die einem völlig mittellosen Menschen offensteht: Er gab Unterricht, übersetzte, was sich ihm bot, hauptsächlich Geschäftsdokumente, und sah sich schließlich gezwungen, aus seinem schönen Körper Kapital zu schlagen. Modellsitzen wurde gut bezahlt, und was er in acht Tagen verdiente, reichte aus, um ihn zwei weitere Wochen durchzubringen; er erzählte dem erstaunten Philip, dass er leicht mit zwei Francs am Tag leben konnte, aber es erfüllte ihn mit Scham, seinen Körper für Geld zeigen zu müssen. Das Modellsitzen war für ihn eine Erniedrigung, die nur der Hunger zu entschuldigen imstande war. Philip erklärte, dass er bloß seinen Kopf brauchte; er wollte ein Porträt malen, um es für den Salon einzuschicken.
»Aber warum wollen Sie gerade mich malen?«, fragte der Spanier.
»Weil mich Ihr Kopf interessiert.«
»Aber ich kann die Zeit nicht aufbringen. Ich muss schreiben. Es tut mir leid um jede Minute, die ich verliere.«
»Es wäre ja nur am Nachmittag. Vormittags habe ich in der Schule zu tun. Und es ist doch immerhin angenehmer, Modell zu sitzen, als Geschäftsbriefe zu übersetzen.«
Im Quartier Latin gab es die Legende von einer sagenhaften Zeit, als Studenten der verschiedenen Völker in vertrautem Umgang miteinander gelebt hatten, aber davon war nun nichts mehr zu spüren, und die einzelnen Nationen waren fast ebenso streng voneinander getrennt wie in einer orientalischen Stadt. Französischen Studenten wurde es von ihren Landsleuten übelgenommen, wenn sie mit Ausländern verkehrten, und für einen Engländer war es so gut wie unmöglich, zu einem Pariser in eine Beziehung zu treten, die über eine oberflächliche Bekanntschaft hinausging. Tatsächlich konnten viele der Studenten, nachdem sie fünf Jahre in Paris gelebt hatten, nicht mehr Französisch, als nötig war, um einzukaufen, und lebten ein so englisches Leben, als arbeiteten sie in South Kensington.
Philip, mit seiner Leidenschaft für das Romantische, war glücklich, einen Spanier kennengelernt zu haben, und wandte seine ganze Überredungskunst auf, den Widerstrebenden umzustimmen.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte der Spanier schließlich »Ich werde Ihnen sitzen, aber nicht für Geld, sondern zu meinem Vergnügen.«
Trotz aller Einwände war er nicht davon abzubringen, und so einigte man sich, dass er am nächsten Montag um ein Uhr zum ersten Mal kommen sollte. Er gab Philip eine Karte, auf der sein Name gedruckt stand: Miguel Ajuria.
Miguel saß regelmäßig Modell, und obgleich er an seiner Weigerung, eine Bezahlung anzunehmen, festhielt, lieh er sich hin und wieder fünfzig Francs: Das kam ein klein wenig teurer, als wenn Philip in der üblichen Weise für das Modellsitzen bezahlt hätte, gab aber dem Spanier die Genugtuung, dass er seinen Lebensunterhalt nicht auf eine erniedrigende Art verdiente. Seine Nationalität machte ihn für Philip
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