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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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zu einem Vertreter der Romantik, und Philip fragte ihn begierig nach Sevilla, Granada, Velázquez und Calderón aus, aber Miguel hatte nichts übrig für die Grandeur seines Landes. Für ihn wie für so viele seiner Landsleute war Frankreich das einzige Land, das für einen Menschen von Geist in Betracht kam, und Paris das Zentrum der Welt.
    »Spanien ist tot«, rief er. »Es hat keine Schriftsteller, es hat keine Kunst, es hat nichts.«
    Nach und nach offenbarte er Philip in der überschwenglichen Rhetorik seines Landes seine Pläne. Er schrieb an einem Roman, der, wie er hoffte, seinen Ruhm begründen sollte. Er stand unter dem Einfluss von Zola und hatte den Schauplatz seiner Handlung nach Paris verlegt. Der Inhalt seiner Geschichte, den er Philip ausführlich erzählte, schien diesem plump und dumm. Die naive Unflätigkeit, derer er sich befleißigte – c’est la vie, mon cher, c’est la vie, rief er –, diente nur dazu, die Banalität des Stoffes noch augenfälliger zu machen. Er schrieb nun schon seit zwei Jahren unter den unglaublichsten Entbehrungen, indem er sich alle Freuden des Lebens versagte, derentwegen er nach Paris gekommen war, und kämpfte der Kunst zuliebe mit dem Hunger, entschlossen, sein großes Werk zu Ende zu führen. Es war ein heroisches Ringen.
    »Aber warum schreiben Sie nicht über Spanien?«, rief Philip. »Das wäre viel interessanter. Sie kennen das Leben dort.«
    »Aber Paris ist der einzige Ort, der es wert ist, beschrieben zu werden. Paris ist das Leben.«
    Eines Tages brachte er einen Teil seines Manuskriptes mit, und aufgeregt in sein schlechtes Französisch übersetzend, so dass Philip kaum etwas verstand, las er Stellen daraus vor. Es war erbärmlich. Kopfschüttelnd betrachtete Philip das Porträt, das er malte: Der Geist, der hinter dieser breiten Stirn lebte, war banal, diese blitzenden, leidenschaftlichen Augen sahen nichts als das Trivialste. Philip war nicht zufrieden mit seinem Porträt und löschte fast nach jeder Sitzung wieder aus, was er gemalt hatte. Das Wesen der Seele auszudrücken – das war leicht gesagt. Aber wie sollte man dieses Wesen erraten, wenn alle Menschen nur aus Widersprüchen zusammengesetzt schienen? Philip hatte Miguel gern, und es schmerzte ihn, die Sinnlosigkeit seines heldenmütigen Kampfes erkennen zu müssen. Er besaß alles, was einen guten Schriftsteller ausmachte, bloß kein Talent. Philip betrachtete seine eigene Arbeit. Wie sollte er entscheiden, ob sie etwas taugte oder ob er einfach seine Zeit vergeudete? Es war klar, dass es nicht allein auf den Willen, etwas zu leisten, ankam und dass Selbstvertrauen noch kein Beweis für Tauglichkeit war. Philip dachte an Fanny Price; sie hatte einen leidenschaftlichen Glauben an ihr Talent; ihre Willensstärke war außerordentlich.
    ›Wenn ich nicht glauben würde, dass ich etwas wirklich Großes erreichen kann, würde ich das Malen aufgeben‹, dachte Philip. ›Es hat keinen Sinn, ein zweitrangiger Maler zu werden.‹
    Bald darauf, als er eines Morgens ausging, rief ihm die concierge zu, dass ein Brief für ihn da sei. Niemand schrieb ihm außer Tante Louisa und hin und wieder Hayward, und diese Handschrift kannte er nicht. Der Brief lautete folgendermaßen:
Bitte kommen Sie sofort, wenn Sie diesen Brief erhalten. Ich halte es nicht länger aus. Bitte, kommen Sie allein. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, von jemand anderem angefasst zu werden. Alles, was ich hinterlasse, gehört Ihnen.
F. Price
Ich habe seit drei Tagen nichts zu essen gehabt.
    Philip wurde übel vor Angst. Er eilte zu dem Haus, in dem sie wohnte. Er war erstaunt, dass sie überhaupt noch in Paris war. Er hatte sie seit Monaten nicht mehr gesehen und sich vorgestellt, sie sei längst nach England zurückgekehrt. Dort angekommen, fragte er den concierge, ob sie zu Hause sei.
    »Ja. Ich habe sie schon zwei Tage nicht mehr ausgehen gesehen.«
    Philip rannte die Treppe hinauf und klopfte an die Tür. Es kam keine Antwort. Er rief ihren Namen. Die Tür war versperrt, und als er näher hinsah, merkte er, dass der Schlüssel im Schloss steckte.
    »Mein Gott, sie wird sich doch nichts angetan haben!«, rief er laut.
    Er rannte hinunter und erklärte dem Portier, dass sie bestimmt in der Wohnung sei, dass er einen Brief von ihr bekommen habe und fürchte, ein Unglück sei geschehen. Er schlug vor, die Tür aufzubrechen. Der Portier, anfangs mürrisch und kaum zum Zuhören zu bewegen, geriet in Aufregung; er allein könne die

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