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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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seiner Phantasie ausmalte. Mit einem schlauen Zwinkern und einem verständnisvollen Kichern deutete er an, dass er sehr wohl wusste, dass es da einiges mehr gebe, als Philip einzugestehen bereit war. Er war ein Mann von Welt, und er kannte sich aus. Er fragte Philip, ob er einmal in einem jener berühmten Lokale am Montmartre gewesen sei, die in der ganzen Welt bekannt sind. Gerne wäre er einmal ins Moulin Rouge gegangen. Das Essen war gut und der Wein vorzüglich. Albert Price ging aus sich heraus, als der Verdauungsprozess zufriedenstellend voranschritt.
    »Wir wollen noch einen kleinen Schnaps trinken«, sagte er, als der Kaffee gebracht wurde, »und dann die Rechnung begleichen.«
    Er rieb sich die Hände.
    »Wissen Sie, ich hätte gute Lust, über Nacht zu bleiben und erst morgen zurückzufahren. Was halten Sie davon, den Abend gemeinsam zu verbringen?«
    »Wenn Sie glauben, dass ich Sie heute Nacht am Montmartre herumführe, haben Sie sich geirrt«, sagte Philip.
    »Ich vermute, es wäre nicht ganz angemessen.«
    Das war so feierlich gesprochen, dass es Philip amüsierte.
    »Außerdem würde es Ihren Nerven nicht guttun«, sagte er ernst.
    Albert Price entschied, dass es das Beste wäre, mit dem Vier-Uhr-Zug nach London zu fahren, und verließ Philip kurz darauf.
    »Nun, auf Wiedersehen, alter Junge«, sagte er. »Wissen Sie was, ich versuche demnächst wieder nach Paris zu kommen und werde mich bei Ihnen melden. Und dann stürzen wir uns ins Getümmel!«
    Philip war an diesem Nachmittag zu unruhig, um zu arbeiten. Und so sprang er denn am Nachmittag in einen Autobus und fuhr über den Fluss, um sich die Bilder bei Durand-Ruel anzusehen. Danach schlenderte er den Boulevard entlang. Es war kalt und windig. Die Menschen eilten, in ihre Mäntel gehüllt und vor Kälte in sich selbst verkrochen, vorüber; ihre Gesichter waren spitz und sorgenvoll. Unter all den weißen Grabsteinen im Friedhof von Montparnasse war der Boden gefroren. Philip fühlte sich allein auf der Welt und seltsam heimatlos. Er sehnte sich nach Gesellschaft. Aber Cronshaw pflegte um diese Stunde zu arbeiten, und Clutton war kein Freund von Besuchen; Lawson arbeitete an einem neuen Porträt von Ruth Chalice und wollte nicht gestört werden. So beschloss Philip, Flanagan aufzusuchen. Er traf ihn bei der Arbeit an, aber er war mit Freuden bereit, den Pinsel hinzuwerfen und sich zu unterhalten. Das Atelier war behaglich und warm geheizt, denn der Amerikaner hatte mehr Geld als die Übrigen. Flanagan machte sich daran, Tee zu kochen. Philip betrachtete die beiden Köpfe, die er zum Salon einsenden wollte.
    »Es ist furchtbar frech von mir, überhaupt etwas einzuschicken«, sagte Flanagan, »aber ich tue es trotzdem. Finden Sie meine Arbeiten sehr schlecht?«
    »Nicht so schlecht, wie ich gedacht hätte«, entgegnete Philip.
    Sie zeigten in der Tat eine verblüffende Fertigkeit. Schwierigkeiten waren geschickt umgangen, und es lag eine Kühnheit in der Art, wie die Farben aufgetragen waren, die erstaunlich und sogar reizvoll war. Flanagan, der nichts wusste von Theorie oder Technik, malte mit dem leichten Strich eines Mannes, der sein Leben lang nur die praktische Seite der Malerei kennengelernt hatte.
    »Wenn es verboten wäre, ein Bild länger als dreißig Sekunden anzusehen, könnte man Sie für einen großen Meister halten, Flanagan«, scherzte Philip.
    Unter diesen jungen Leuten war es durchaus nicht Sitte, sich mit Schmeicheleien zu überhäufen.
    »In Amerika hat man keine Zeit, ein Bild länger als dreißig Sekunden anzusehen«, erwiderte der andere lachend.
    Flanagan, obgleich der leichtsinnigste Mensch der Welt, besaß eine Herzensgüte, die unerwartet und bezaubernd war. Jedes Mal, wenn jemand krank war, stellte er sich als Krankenpfleger zur Verfügung. Seine Heiterkeit half mehr als jede Medizin. Wie viele seiner Landsleute kannte er die englische Furcht vor Sentimentalität nicht, die alle Gefühle im Zaum hält; und da er es nicht lächerlich fand, seine Gefühle zu zeigen, kam er seinen Freunden mit echter Anteilnahme entgegen, was diesen sehr willkommen war, wenn sie unglücklich waren. Er merkte, wie niedergeschlagen Philip war, und bemühte sich mit ungeheuchelter Freundlichkeit und großem Lärm und Getöse, ihn aufzuheitern. Er übertrieb die Amerikanismen, die, wie er wusste, alle Engländer zum Lachen brachten, und sprudelte einen drolligen, witzigen und übermütigen Redeschwall hervor. Schließlich gingen sie miteinander

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