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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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reichlich, Miguel Ajuria so viel wie die anderen; und Philip war schockiert über den Gegensatz zwischen den heldenhaften Bemühungen des Spaniers und dem, was dabei herauskam. Philips unglückliche Schuljahre hatten die Gabe der Selbstanalyse in ihm entwickelt, und dieses Laster, tückisch wie Rauschgift, hatte Besitz von ihm ergriffen, so dass er es zu einer besonderen Scharfsicht in der Analyse seiner Gefühle gebracht hatte. Es konnte ihm nicht entgehen, dass die Kunst auf ihn anders wirkte als auf seine Kollegen. Ein schönes Bild verursachte bei Lawson spontanes Entzücken. Er reagierte instinktiv. Selbst Flanagan empfand Dinge, die Philip nur mit dem Verstand begriff. Er reagierte mit dem Intellekt. Er konnte nicht umhin zu denken, dass er, wenn er ein künstlerisches Naturell (er hasste dieses Wort, konnte aber kein besseres finden) besäße, Schönheit auf die gleiche emotionale, vernunftfreie Weise empfinden würde wie sie. Er begann an seinem Künstlertum zu zweifeln. Er fragte sich, ob er wirklich über mehr verfügte als eine gewisse Handfertigkeit, die ihn befähigte, Dinge genau zu kopieren. Das war nichts. Er hatte gelernt, schlichte technische Geschicklichkeit zu verachten. Worauf es ankam, war, in malerischen Werten zu empfinden. Lawson malte auf eine bestimmte Art, weil es seiner Natur entsprach, so zu malen, und hinter der zur Nachahmung neigenden und für jeden Einfluss empfänglichen Unsicherheit des Schülers machte sich seine Individualität bemerkbar. Philip betrachtete das Porträt von Ruth Chalice, das er selbst gemalt hatte, und nun, nach drei Monaten, erkannte er, dass es nichts weiter war als eine sklavische Kopie von Lawsons Bild. Er fühlte sich leer. Er malte mit dem Kopf und wusste doch: Ein gutes Bild musste mit dem Herzen gemalt sein.
    Er hatte sehr wenig Geld, kaum sechshundert Pfund, und würde in strengster Sparsamkeit leben müssen. Er konnte nicht darauf zählen, die nächsten zehn Jahren etwas zu verdienen. In der Geschichte der Malerei wimmelte es von Künstlern, die nie etwas verdient hatten. Er musste mit der Möglichkeit rechnen, Not zu leiden. Das lohnte sich, wenn man Arbeiten von unvergänglichem künstlerischem Wert hervorbrachte; aber er hatte schreckliche Angst davor, niemals mehr als zweitrangig zu sein. War es der Mühe wert, dafür seine Jugend, den Frohsinn des Lebens und die mannigfachen Möglichkeiten des Daseins aufzugeben? Er kannte das Leben der ausländischen Maler in Paris gut genug, um zu wissen, dass es kleinbürgerlich war. Er kannte einige, die zwanzig Jahre lang dem Ruhm hinterhergejagt waren, ohne ihn zu erreichen, und schließlich dem Elend und dem Alkohol verfielen. Fannys Selbstmord hatte Erinnerungen geweckt, und Philip hörte grausige Geschichten über die Art, wie der eine oder andere der Verzweiflung entflohen war. Er erinnerte sich an den verächtlichen Rat, den der Lehrer Fanny gegeben hatte: Es wäre gut für sie gewesen, wenn sie ihn angenommen und den hoffnungslosen Versuch aufgegeben hätte.
    Philip beendete das Porträt von Miguel Ajuria und sandte es an den Salon. Flanagan sandte zwei Bilder ein, und Philip dachte, dass er so gut malen konnte wie Flanagan. Er hatte so fleißig an dem Bild gearbeitet, dass er meinte, es müsste etwas taugen. Wenn er es betrachtete, fühlte er allerdings, dass irgendetwas nicht stimmte, aber er hätte nicht sagen können, was es war. Das Bild wurde abgelehnt. Er nahm es sich nicht weiter zu Herzen, weil er sich von vornherein bemüht hatte, seine Sache als möglichst aussichtslos anzusehen – bis ein paar Tage später Flanagan hereingestürzt kam und Lawson und Philip mitteilte, dass eines seiner Bilder angenommen war. Mit bleichem Gesicht sprach Philip ihm seinen Glückwunsch aus, und Flanagan war so eifrig damit beschäftigt, sich selbst zu beglückwünschen, dass er den ironischen Ton in Philips Stimme völlig überhörte. Lawson hingegen hatte ihn bemerkt und sah Philip befremdet an. Sein Bild war ebenfalls angenommen worden, wie er vor ein paar Tagen erfahren hatte, und er nahm Philip sein Verhalten ein wenig übel. Umso überraschter war er über die plötzliche Frage, die Philip an ihn richtete, sobald der Amerikaner ging.
    »Wenn du an meiner Stelle wärst, würdest du die ganze Sache aufgeben?«
    »Was in aller Welt meinst du damit?«
    »Ich weiß nicht, ob es die ganze Mühe wert ist, ein zweitrangiger Maler zu sein. Siehst du, in anderen Berufen, als Arzt, zum Beispiel, oder als

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