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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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angesammelten Weisheit zum Trotz, bescheiden zu. Dann nahm er das Sezierbesteck zur Hand und fing unter den Blicken des andern zu arbeiten an.
    »Fein, dass er so mager ist«, sagte Newson und wischte sich die Hände ab. »Der Kerl muss mindestens einen Monat nichts mehr zu essen gehabt haben.«
    »Woran er wohl gestorben ist?«, murmelte Philip.
    »Gott, ich weiß nicht. An Hunger, wahrscheinlich… Halt, aufgepasst, schneiden Sie nicht in diese Arterie hinein.«
    »Leichter gesagt, als getan«, bemerkte der Student, der an dem andern Bein arbeitete, »der Mensch hat die Arterie an einer ganz falschen Stelle.«
    »Arterien sind immer an der falschen Stelle«, sagte Newson. »Das Normale existiert nämlich kaum. Deshalb wird es das Normale genannt.«
    »Hören Sie auf mit solchen Reden«, rief Philip, »sonst schneide ich mich.«
    »Wenn das passiert, müssen Sie sich auf der Stelle desinfizieren. Das ist das Einzige, worauf man achten muss. Voriges Jahr hatten wir einen jungen Mann hier, der sich nur ein ganz klein wenig ritzte, ohne sich weiter darum zu kümmern; er bekam die Sepsis.«
    »Wurde er wieder gesund?«
    »Nein, eine Woche später war er tot. Ich habe ihn mir im Aufbewahrungsraum angesehen.«
    Als es Zeit zum Tee wurde, schmerzte Philips Rücken bereits empfindlich, und auch der Hunger meldete sich. Seine Hände hatten jenen merkwürdigen Geruch angenommen, den er morgens auf dem Korridor bemerkt hatte. Auch sein Brötchen schien danach zu schmecken.
    »Oh, daran werden Sie sich gewöhnen«, meinte Newson. »Ohne den guten alten Seziergeruch um sich fühlt man sich schon beinahe einsam.«
    »Jedenfalls soll es mir den Appetit nicht verderben«, sagte Philip und ließ dem Brötchen ein Stück Kuchen folgen.
    55
     
    Philips Vorstellungen vom Leben der Medizinstudenten wie überhaupt vom gesamten öffentlichen Leben gründeten auf den Bildern, die Charles Dickens in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gezeichnet hatte. Er entdeckte bald, dass Bob Sawyer, falls er jemals existiert hatte, durchaus nicht mehr typisch war für den Medizinstudenten der Gegenwart.
    Es ist ein gemischter Haufen, der sich dem Arztberuf zuwendet, und natürlich sind auch einige darunter, die faul und rücksichtslos sind. Sie glauben, es wäre ein leichtes Leben, und verbummeln einige Jahre; wenn ihr Geldvorrat ausgeht oder die verärgerten Eltern sich weigern, sie noch länger zu unterstützen, verlassen sie das Krankenhaus. Andere halten die Prüfungen für zu schwierig: Nach wiederholten Misserfolgen verlieren sie die Nerven und vergessen vor lauter Panik all ihr Wissen, das sie zuvor so gut beherrscht hatten, sobald sie in die widerwärtigen Gebäude der Prüfungsministerien kommen. Sie bleiben Jahr um Jahr, eine Zielscheibe für den gutmütigen Spott der jungen Männer; einige von ihnen schaffen die Apothekerprüfung, andere werden Assistenten ohne Zulassung, ein unsicherer Beruf, in dem sie der Gnade ihrer Arbeitgeber ausgeliefert sind; ihr Los ist Armut, Trunksucht, und nur der Himmel kennt ihr Ende. Aber zum überwiegenden Teil sind Medizinstudenten fleißige junge Männer aus dem Mittelstand mit genügend Geld, um in der soliden Art leben zu können, die sie gewohnt sind; viele sind Söhne von Ärzten und bringen bereits etwas vom Gebaren eines Arztes mit; ihre Karriere ist vorgezeichnet: Sobald sie ihr Studium beendet haben, bewerben sie sich um eine Stelle in einem Krankenhaus, und nachdem sie diese innegehabt haben (und vielleicht als Schiffsarzt in den Fernen Osten gereist sind), kehren sie zu ihrem Vater zurück und verbringen den Rest ihrer Tage in einer Landpraxis. Ein oder zwei sind außergewöhnlich begabt; sie erhalten die verschiedenen Preise und Stipendien, welche Jahr für Jahr den Würdigen zur Verfügung gestellt werden, sie bekommen eine Stelle nach der anderen im Krankenhaus, werden angestellt, eröffnen ein Arztsprechzimmer in der Harley Street, und nachdem sie sich auf irgendein Fach spezialisiert haben, werden sie erfolgreich und berühmt und erhalten einen Adelstitel.
    Der Arztberuf ist der einzige, dem man sich in jedem Alter zuwenden kann mit der Hoffnung, sein Einkommen zu finden. Unter den Männern in Philips Jahrgang waren drei oder vier, die nicht mehr ganz jung waren: Einer war bei der Marine gewesen, von der er – zufolge des amtlichen Berichtes – wegen Trunksucht entlassen worden war; er war um die dreißig, hatte ein rotes Gesicht, ein barsches Auftreten und eine laute Stimme. Ein

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