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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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können; wenn er an Mildred dachte, geschah es mit einem Gefühl der Wut, denn sie war die Ursache seiner Erniedrigung und Demütigung. Alles, was an ihrer Persönlichkeit und ihrem Benehmen zweifelhaft war, nahm nun in der Phantasie übersteigerte Formen an. Er musste sich schütteln bei dem bloßen Gedanken, dass er je etwas mit ihr zu tun gehabt hatte.
    ›Das zeigt wieder einmal, wie verdammt schwach ich bin‹, sagte er sich. Dieses Abenteuer glich einem Fehltritt auf einem Fest, so schrecklich, dass man das Gefühl hatte, nichts könnte ihn entschuldigen: Die einzige Rettung lag im Vergessen. Sein Grauen über die Entwürdigungen, die er erlitten hatte, kam ihm jetzt zu Hilfe. Wie eine Schlange warf er die alte Haut ab, die er jetzt mit Ekel betrachtete. Er triumphierte, dass er sich wieder zurückgewonnen hatte. Er merkte nun erst, wie viele Freuden ihm entgangen waren, solange er in dem Irrsinn steckte, den man Liebe nennt. Er hatte es satt. Wenn das die Liebe war, so wollte er nichts mehr von der Liebe wissen. Philip erzählte Hayward einiges von dem, was er durchgemacht hatte.
    »War es nicht Sophokles«, fragte er, »der gebetet hat, die Zeit möge kommen, wo die wilden Tiere der Leidenschaft nicht mehr sein Herz zerreißen?«
    Philip war wirklich wie neugeboren. Er sog die Luft mit tiefen Zügen ein, als hätte er sie noch nie zuvor geatmet. Jede Kleinigkeit bereitete ihm ein kindliches Vergnügen. Er nannte die Zeit seiner Vernarrtheit sechs Monate Zuchthaus.
    Ein paar Tage nach Haywards Ankunft erhielt Philip eine Einladungskarte zur privaten Besichtigung einer Gemäldeausstellung, die ursprünglich nach Blackstable geschickt worden war. Er nahm Hayward mit und sah beim Durchblättern des Kataloges, dass Lawson ein Bild auf der Ausstellung hatte.
    »Vermutlich hat er die Karte geschickt«, sagte Philip. »Komm, wir wollen uns nach ihm umsehen; er steht sicher vor seinem Bild.«
    Das Bild, ein Porträt von Ruth Chalice im Profil, hing in einer entlegenen Ecke; Lawson stand nicht weit davon. In dem Gedränge der modisch gekleideten Menschen, die sich hier zusammengefunden hatten, sah Lawson mit seinem großen weichen Hut und dem lose hängenden hellen Anzug ein bisschen verloren aus. Er begrüßte Philip freudig und erzählte sofort in seiner charakteristischen Redseligkeit, dass er in London bleiben werde, dass Ruth Chalice ein Flittchen sei, dass er ein Atelier gemietet habe, mit Paris sei es aus, er habe einen Auftrag für ein Porträt erhalten und ob sie nicht zusammen essen gehen und plaudern wollten. Philip fragte ihn, ob er sich an Hayward erinnere. Es belustigte ihn, dass Lawson Haywards eleganter Anzug und seine vornehmen Umgangsformen doch ein wenig imponierten. Sie standen ihm jetzt besser als damals in dem schäbigen kleinen Atelier, in dem Lawson und Philip gemeinsam gehaust hatten.
    Während des Essens fuhr Lawson mit der Erzählung seiner Neuigkeiten fort. Flanagan war nach Amerika zurückgekehrt. Clutton war verschwunden. Er war zu der Überzeugung gekommen, dass man nichts erreiche, solange man mit Künstlern und dem Kunstbetrieb in Berührung blieb. Das einzig Richtige sei, einfach wegzugehen. Um sich selbst diesen Schritt zu erleichtern, hatte er sich mit allen Freunden gestritten. Er entwickelte ein regelrechtes Talent, ihnen bittere Wahrheiten ins Gesicht zu sagen, so dass sie nicht besonders erschüttert waren, als er ihnen mitteilte, er sei mit der Stadt endgültig fertig und werde nach Gerona übersiedeln, einem kleinen Städtchen in Nordspanien, das er einmal von der Bahn aus auf dem Weg nach Barcelona gesehen und das ihn gleich angezogen habe. Er wohnte dort jetzt ganz für sich allein.
    »Ich bin neugierig, ob aus ihm etwas wird«, sagte Philip.
    Ihn interessierte die menschliche Seite dieses Ringens darum, etwas auszudrücken, was im Geist dieses Mannes so unklar war, dass er krank und mürrisch wurde. Philip fühlte undeutlich, dass er sich in der gleichen Lage befand, aber bei ihm war es die gesamte Lebensführung, die ihn verwirrte. Er wusste nicht genau, was er mit seinen Ausdrucksmitteln anfangen sollte. Aber er hatte keine Zeit, diese Gedankengänge fortzusetzen, denn Lawson sprudelte die Geschichte seiner Affäre mit Ruth Chalice hervor. Sie hatte ihn eines jungen Studenten wegen verlassen, der gerade von England gekommen war, und verhielt sich skandalös. Lawson war der Meinung, jemand sollte eingreifen und den jungen Mann retten. Sie würde ihn ruinieren. Philip

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