Der Menschen Hoerigkeit
Dann ging er nach oben, um seine Bücher herunterzuholen.
»Sie haben doch nichts dagegen, dass ich heute Nachmittag in Ihrem Zimmer arbeite, nicht wahr?«, fragte er, als er zurückkam. »Ich lasse die Tür offen, Sie brauchen nur zu rufen, wenn Sie irgendetwas wünschen.«
Als Philip später aus seinem Halbschlaf aufwachte, hörte er Stimmen im Wohnzimmer. Griffith hatte einen Freund zu Besuch.
»Ich glaube, es ist besser, wenn ihr heute Abend nicht kommt«, hörte er Griffith sagen.
Und dann kam ein oder zwei Minuten später ein Dritter herein, der sich verwundert zeigte, Griffith hier zu finden. Philip hörte, wie er erklärte:
»Ich pflege einen Studenten aus dem zweiten Semester, der hier wohnt. Der arme Kerl hat Influenza. Also, kein Whist heute Nacht, alter Freund.«
Gleich darauf war Griffith allein, und Philip rief ihn zu sich.
»Sie sagen doch nicht etwa meinetwegen Ihr Fest ab heute Abend, oder doch?«, fragte er.
»Nicht Ihretwegen, ich muss mein Chirurgie-Pensum lernen.«
»Sagen Sie nicht ab. Ich komme schon zurecht. Sie brauchen sich nicht um mich zu kümmern.«
»Ist schon recht.«
Philip ging es schlechter. Als es Abend wurde, fing er an, leicht zu phantasieren, aber gegen Morgen erwachte er aus einem unruhigen Schlaf. Er sah, wie sich Griffith aus dem Lehnstuhl erhob, hinkniete und ein Stück Kohle nach dem anderen ins Feuer legte. Er hatte einen Pyjama und einen Morgenrock an.
»Was tun Sie denn hier?«, fragte er.
»Habe ich Sie aufgeweckt? Ich habe versucht, das Feuer möglichst ohne Krach anzumachen.«
»Warum liegen Sie nicht im Bett? Wie spät ist es?«
»Gegen fünf. Ich dachte, ich bleibe heute Nacht besser bei Ihnen. Ich habe einen Lehnstuhl heruntergeholt, weil ich dachte, wenn ich eine Matratze hinlege, schlafe ich vielleicht zu fest und höre Sie nicht, wenn Sie etwas brauchen.«
»Ich wünschte, Sie wären nicht so gut zu mir«, stöhnte Philip. »Wenn Sie sich nun anstecken?«
»Dann werden Sie mich pflegen, mein Bester«, sagte Griffith lachend.
Als der Morgen gekommen war, zog Griffith die Jalousien auf. Er sah nach seiner Nachtwache blass und müde aus, war aber quicklebendig. »So, jetzt werde ich Sie waschen«, sagte er fröhlich zu Philip.
»Ich kann mich alleine waschen«, sagte Philip voller Scham.
»Unsinn. Wenn Sie im Krankenhaus lägen, würde eine Schwester Sie waschen, und ich kann das so gut wie eine Schwester.«
Philip, der sich zu schwach und zu elend fühlte, um Widerstand zu leisten, ließ sich von Griffith Hände, Gesicht, Füße, Brust und Rücken waschen. Der hatte dabei eine entzückende Zartheit und schwatzte freundlich drauflos. Dann wechselte er genau wie im Krankenhaus das Laken, schüttelte das Kopfkissen auf und ordnete die Decken.
»Schwester Arthur sollte mich sehen. Die würde Respekt kriegen! Deacon kommt heute Morgen, um nach Ihnen zu sehen.«
»Ich kann mir nicht denken, warum Sie so gut zu mir sind«, sagte Philip.
»Das ist für mich eine gute Übung. Es ist eigentlich ein richtiger Spaß, einen Patienten zu haben.«
Griffith gab ihm sein Frühstück und ging fort, um sich anzuziehen und etwas zu essen. Ein paar Minuten vor zehn kam er zurück und brachte Philip Weintrauben und ein paar Blumen mit.
»Sie sind schrecklich nett«, sagte Philip.
Er lag fünf Tage lang im Bett.
Norah und Griffith teilten sich die Pflege. Obwohl Griffith und Philip gleichaltrig waren, nahm Griffith eine lockere, leicht mütterliche Haltung ihm gegenüber ein. Er war aufmerksam, freundlich und aufmunternd; seine beste Eigenschaft aber war seine Vitalität, die auf jeden, mit dem er in Berührung kam, Gesundheit ausstrahlte. Philip war an das Verhätscheln nicht gewöhnt, das anderen von Müttern oder Schwestern her vertraut ist, und er war tief gerührt über die weibliche Zartheit dieses starken jungen Mannes. Philip erholte sich. Dann saß Griffith in Philips Zimmer und unterhielt ihn mit den fröhlichen Erzählungen seiner Liebesabenteuer. Er flirtete gern und schaffte es, gleichzeitig drei oder vier Verhältnisse zu haben. Und sein Bericht über die Kunstgriffe, die er anwenden musste, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten, war amüsant anzuhören. Er hatte eine besondere Gabe, über alles, was ihm passierte, einen romantischen Schimmer zu legen. Er war tief verschuldet; alles, was er besaß und den geringsten Wert hatte, befand sich im Leihhaus – trotzdem brachte er es immer fertig, heiter, extravagant und großzügig zu sein. Er war
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