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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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dass ich mich überhaupt jemals auf ihn eingelassen habe. Und er verdient auch nicht so viel Geld, wie er gesagt hat – die Lügen, die er mir alle erzählt hat!«
    Philip dachte einen Augenblick nach. Er war so tief bewegt durch ihre Not, dass er nicht an sich denken konnte.
    »Soll ich nach Birmingham fahren? Ich könnte zu ihm gehen und versuchen, die Dinge in Ordnung zu bringen.«
    »Ach, das ist aussichtslos. Er kommt nicht mehr zurück – ich kenne ihn!«
    »Aber er muss für dich sorgen, dem kann er sich nicht entziehen. Ich verstehe nichts von diesen Sachen – es wäre das Beste, wenn du einen Anwalt befragtest.«
    »Wie kann ich das denn? Ich habe kein Geld.«
    »Das bezahle ich. Ich werde meinem Anwalt eine Zeile schreiben, er war schon Testamentsvollstrecker meines Vaters. Soll ich gleich mitkommen? Ich nehme an, dass er noch im Büro ist.«
    »Nein, gib mir einen Brief an ihn mit. Ich gehe allein.«
    Sie war jetzt etwas ruhiger. Er setzte sich hin und schrieb ein paar Zeilen. Dann fiel ihm ein, dass sie kein Geld hatte. Glücklicherweise hatte er gerade am Tag vorher einen Scheck eingelöst, und so konnte er ihr fünf Pfund geben.
    »Du bist zu gut zu mir, Philip«, sagte sie.
    »Ich bin so glücklich, dass ich etwas für dich tun kann.«
    »Hast du mich noch lieb?«
    »So lieb wie eh und je.«
    Sie reichte ihm ihre Lippen zum Kuss, und er küsste sie. Dass sie so etwas von sich aus tat, zeigte eine Hingabe, wie er sie noch nie an ihr erlebt hatte. Es entschädigte ihn für all die Qualen, die er durchgemacht hatte.
    Sie ging – zwei Stunden lang war sie bei ihm gewesen. Er war maßlos glücklich.
    »Armes, armes Ding«, murmelte er vor sich hin; sein Herz erglühte in größerer Liebe als je zuvor.
    Er dachte überhaupt nicht an Norah, bis so gegen acht ein Telegramm kam. Noch ehe er es öffnete, wusste er, dass es von ihr war.
Ist etwas passiert? Norah.
    Er wusste nicht, was er nun tun oder was er darauf antworten sollte. Er könnte sie nach dem Stück, in dem sie als Statistin mitwirkte, abholen und mit ihr, wie schon manches Mal, nach Hause schlendern, aber seine ganze Seele begehrte gegen den Gedanken auf, sie heute Abend zu sehen. Er dachte daran, ihr zu schreiben; aber er brachte es nicht fertig, sie mit liebste Norah anzureden. So entschloss er sich zu telegrafieren:
Bedaure. Konnte nicht wegkommen, Philip.
    Er sah sie vor sich. Er fühlte sich ein klein wenig abgestoßen durch ihr hässliches kleines Gesicht mit den hohen Backenknochen und den rohen Farben. Ihre Haut hatte etwas Grobes; bei dem Gedanken daran überlief ihn eine Gänsehaut. Er wusste, dass er es bei dem Telegramm nicht bewenden lassen konnte – aber es war wenigstens ein Aufschub.
    Am folgenden Tage telegrafierte er wieder:
Bedaure. Kommen unmöglich. Brief folgt.
    Mildred hatte vorgeschlagen, am Nachmittag um vier zu ihm zu kommen, und er wollte ihr nicht sagen, dass die Stunde ihm nicht passte. Aber schließlich ging sie vor. Er wartete ungeduldig auf sie. Er hielt vom Fenster aus nach ihr Ausschau und öffnete ihr selbst die Haustür.
    »Nun – hast du mit Nixon gesprochen?«
    »Ja«, antwortete sie. »Er hat gesagt, es hat keinen Zweck. Da kann man nichts tun. Ich muss eben ein freundliches Gesicht machen und es einstecken.«
    »Das ist doch unmöglich!«, rief Philip.
    Sie setzte sich ermattet und müde hin.
    »Hat er dir denn irgendeinen Grund dafür gesagt?«, fragte er.
    Sie gab ihm einen zerknüllten Brief.
    »Da ist dein Brief, Philip. Ich habe ihn nicht benutzt. Ich konnte es dir gestern nicht sagen. Emil hat mich nicht geheiratet. Er konnte nicht. Er hatte schon eine Frau und drei Kinder.«
    Philip fühlte eine plötzliche Aufwallung von Eifersucht und Wut. Es war fast mehr, als er ertragen konnte.
    »Das ist der Grund, warum ich nicht zu meiner Tante zurückkonnte. Ich habe niemanden, zu dem ich gehen kann, außer dir.«
    »Warum bist du mit ihm davongelaufen?«, fragte Philip mit leiser Stimme, der er mühsam einen festen Klang zu geben suchte.
    »Ich weiß nicht. Ich wusste zuerst nicht, dass er ein verheirateter Mann war, und als er mir das sagte, habe ich ihm meine Meinung gesagt. Und dann habe ich ihn monatelang nicht gesehen, und als er dann wieder ins Geschäft kam und mich fragte – ich weiß nicht, was da über mich gekommen ist. Ich konnte einfach nicht anders. Ich musste mit ihm gehen.«
    »Hast du ihn geliebt?«
    »Ich weiß nicht. Ich konnte mir kaum helfen, ich musste immer lachen über die

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