Der Menschen Hoerigkeit
Sachen, die er sagte. Und dann war da noch etwas – er hat gesagt, ich würde es nie bedauern, er würde mir sieben Pfund die Woche geben –, er hat gesagt, er verdient fünfzehn, und es war alles gelogen. Es stimmt gar nicht. Und dann hatte ich es satt, jeden Morgen ins Geschäft zu gehen, und mit meiner Tante verstand ich mich auch nicht besonders. Sie behandelte mich immer, als wäre ich ein Dienstmädchen und nicht eine Verwandte; mein Zimmer sollte ich selber machen, und wenn ich’s nicht tat, machte es eben niemand. – Ach, hätte ich es bloß nicht getan. Aber als er in die Teestube kam und mich fragte, konnte ich einfach nicht anders.«
Philip ging von ihr fort. Er setzte sich an den Tisch und vergrub das Gesicht in den Händen. Er fühlte sich furchtbar gedemütigt.
»Du bist mir nicht böse, Philip?«, fragte sie kläglich.
»Nein«, antwortete er und sah auf, jedoch nicht zu ihr hin. »Aber es verletzt mich sehr.«
»Warum?«
»Du weißt, ich habe dich abgöttisch geliebt. Ich habe alles getan, was ich konnte, um dich mir gewogen zu machen. Ich habe gedacht, du bist unfähig, jemanden zu lieben. Es ist so grausam zu wissen, dass du bereit warst, für diesen ungebildeten Kerl alles zu opfern. Ich verstehe nicht, was du an ihm gefunden hast.«
»Es tut mir schrecklich leid, Philip. Ich habe es danach bitter bereut, glaube mir.«
Er dachte an Emil Miller mit seinem ungesunden Aussehen, seinen unruhigen blauen Augen und seinem ordinär auffälligen Auftreten; er trug stets knallrote gestrickte Westen. Philip seufzte. Sie stand auf und ging zu ihm hin. Sie legte ihren Arm um seinen Hals.
»Ich werde dir nie vergessen, dass du mich heiraten wolltest, Philip.«
Er nahm ihre Hand und sah zu ihr auf. Sie beugte sich nieder und küsste ihn.
»Philip, wenn du mich noch magst, werde ich jetzt alles tun, was du willst. Ich weiß, du bist ein Gentleman, in jedem Sinn des Wortes.«
Das Herz stand ihm still. Es wurde ihm bei ihren Worten leicht übel.
»Das ist sehr freundlich von dir, aber ich kann nicht.«
»Magst du mich nicht mehr?«
»Doch, ich liebe dich von ganzem Herzen.«
»Warum sollen wir es uns dann nicht schön machen, solange wir’s können? Es macht jetzt sowieso nichts aus.«
Er löste sich von ihr.
»Du verstehst das nicht. Ich bin ganz krank vor Liebe zu dir gewesen, von dem Augenblick an, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Aber jetzt – dieser Mensch. Unglücklicherweise habe ich eine lebhafte Phantasie. Der Gedanke daran ekelt mich einfach an.«
»Du bist komisch«, sagte sie.
Er nahm wieder ihre Hand und lächelte sie an.
»Du sollst nicht denken, dass ich nicht dankbar wäre. Ich kann dir nicht genug danken, aber es ist einfach stärker als ich.«
»Du bist ein guter Freund, Philip.«
Sie sprachen weiter und hatten bald zu der vertrauten Kameradschaft vergangener Tage zurückgefunden. Es wurde spät. Philip schlug vor, sie sollten gemeinsam essen und dann ins Varieté gehen. Es brauchte einige Überredung, denn sie hatte das Gefühl, dass es eigentlich nicht zu dem Kummer ihrer Lage passe, in ein Vergnügungslokal zu gehen. Schließlich bat Philip sie, ihm den Gefallen zu tun und mitzukommen, und da sie es nun als ein Opfer betrachten konnte, nahm sie die Einladung an. Sie war nachdenklicher geworden, und Philip war darüber entzückt. Sie bat ihn, mit ihr in das kleine Restaurant in Soho zu gehen, wo sie oft gewesen waren. Er war ihr unendlich dankbar dafür, denn es zeigte, dass sich auch für sie glückliche Erinnerungen damit verbanden. Während der Mahlzeit wurde sie immer vergnügter. Der Burgunder aus der Kneipe an der Ecke wärmte ihr das Herz, und sie vergaß ganz, dass sie eigentlich eine kummervolle Haltung hätte zeigen müssen. Philip hielt den Augenblick für gekommen, mit ihr von der Zukunft zu reden.
»Ich vermute, du hast keinen Penny mehr, nicht wahr?«, fragte er, als sich die Gelegenheit dazu ergab.
»Nur das, was du mir gestern gegeben hast, und davon habe ich der Wirtin drei Pfund geben müssen.«
»Dann gebe ich dir wohl besser einen Zehnpfundschein, damit du weiterkommst. Ich werde meinen Anwalt aufsuchen und ihn einen Brief an Miller schreiben lassen. Wir können ihn sicher dazu bringen, dass er etwas zahlt, das glaube ich bestimmt. Wenn wir hundert Pfund aus ihm herauskriegen können, würde das reichen, bis das Kind da ist.«
»Ich würde keinen Penny von ihm annehmen. Lieber will ich verhungern.«
»Aber es ist unmenschlich, dich so
Weitere Kostenlose Bücher