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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Pflegerin trat ein. Auf ihren Lippen lag ein leichtes Lächeln.
    73
     
    Drei Wochen später brachte Philip Mildred und das Baby zum Zug nach Brighton. Sie hatte sich sehr schnell erholt und sah besser aus, als er sie je gesehen hatte. Sie ging in eine Pension, wo sie schon ein paar Mal zum Wochenende mit Emil Miller gewesen war. Sie hatte der Wirtin geschrieben, dass ihr Mann nach Deutschland hatte fahren müssen und dass sie mit ihrem Kind komme. Es machte ihr Vergnügen, sich diese Geschichten auszudenken, und sie legte eine große Erfindungsgabe für die Details an den Tag. Sie meinte, sie würde in Brighton schon eine Frau finden, die das Kind in Pflege nehmen würde. Philip war überrascht über die Gefühllosigkeit, mit der sie darauf bestand, es so schnell loszuwerden. Aber sie behauptete, dass es besser wäre, das Kind jetzt wegzugeben, ehe es sich zu sehr an sie gewohnt hätte. Philip hatte geglaubt, dass der Mutterinstinkt in ihr erwachen würde, wenn sie das Kind erst einmal zwei oder drei Wochen hätte, und hatte darauf gezählt, um sie leichter überreden zu können, dass sie es behielte. Aber nichts dergleichen geschah. Mildred war zu dem Kind nicht etwa unfreundlich; sie tat alles, was nötig war. Es machte ihr manchmal Spaß, und sie redete eine ganze Menge darüber; aber im tiefsten Herzen war es ihr gleichgültig. Sie konnte es nicht als einen Teil von sich ansehen. Sie bildete sich ein, dass es bereits seinem Vater ähnelte. Sie fragte sich ständig, wie sie zurechtkommen sollte, wenn es älter würde, und sie war außer sich, dass sie solch ein Narr gewesen war, es überhaupt zu bekommen.
    »Wenn ich damals nur all das gewusst hätte, was ich heute weiß«, sagte sie.
    Sie lachte Philip aus, weil er sich so um das Wohl des Kindes sorgte.
    »Du könntest dich nicht mehr darum sorgen, wenn du der Vater wärest«, sagte sie. »Emil würde das niemals tun.«
    Philip erzählte Geschichten über Engelmacher und Leute, die die ihnen von selbstsüchtigen Eltern anvertrauten Kinder einfach umbrachten.
    »Sei doch nicht so dumm«, sagte Mildred. »Das kommt nur vor, wenn du einer Frau eine Summe auf den Tisch legst, mit der ihre Pflege abgegolten ist. Aber wenn du ihr eine bestimmte Summe pro Woche zahlst, liegt es in ihrem eigenen Interesse, sich gut um das Kind zu kümmern.«
    Philip bestand darauf, dass Mildred das Kind nur an kinderlose Eheleute geben sollte, die auch versprechen wollten, sonst keine Kinder anzunehmen.
    »Feilsche nicht um den Preis«, sagte er. »Lieber will ich eine halbe Guinee pro Woche zahlen, statt fürchten zu müssen, dass das Kind hungert und misshandelt wird.«
    »Du bist ein komischer Kerl, Philip«, lachte sie.
    Für ihn lag in der Hilflosigkeit des Kindes etwas sehr Rührendes. Es war klein, hässlich und schrie. Man hatte seine Geburt mit Scham und Angst erwartet. Niemand hatte es haben wollen. Es war auf ihn angewiesen, einen Fremden, für Nahrung, Unterkunft und etwas, um seine Nacktheit zu bedecken.
    Als der Zug sich in Bewegung setzte, küsste er Mildred. Er hätte auch das Kind gern geküsst, aber er fürchtete, dass sie ihn auslachen würde.
    »Du wirst mir schreiben, Liebling, nicht wahr? Und ich werde, ach, mit solcher Ungeduld deine Rückkehr erwarten.«
    »Fall nicht durchs Examen!«
    Er hatte fleißig darauf hingearbeitet, und jetzt, wo nur noch zehn Tage vor ihm lagen, strengte er sich besonders an. Es lag ihm sehr viel daran, dass er es bestand, erstens, um Zeit und Geld zu sparen, denn das Geld war ihm während der letzten vier Monate mit unglaublicher Schnelligkeit durch die Finger geronnen; aber auch, weil das bestandene Examen das Ende der öden Plackerei bedeutete: Danach stand für die Medizinstudenten Geburtshilfe und Chirurgie an, was ihn lebhafter interessierte als Anatomie und Physiologie, womit er sich jetzt zu beschäftigen hatte. Philip freute sich auf das noch zu absolvierende Pensum. Außerdem wollte er vor Mildred keinen Misserfolg eingestehen müssen; obwohl die Prüfung schwierig war und die Mehrzahl der Kandidaten beim ersten Versuch durchfiel, wusste er, dass er in ihrer Achtung sinken würde, wenn er keinen Erfolg hätte; sie hatte eine besonders demütigende Art zu zeigen, was sie dachte.
    Mildred schickte ihm eine Postkarte, dass sie gut angekommen war, und er stahl sich täglich eine halbe Stunde, um ihr einen langen Brief zu schreiben. Eine gewisse Scheu hinderte ihn, seine Gefühle mündlich auszudrücken, mit der Feder aber konnte

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