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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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er ihr alles Mögliche sagen, was ihm als Lippenbekenntnis lächerlich vorgekommen wäre. Froh über diese neue Entdeckung, schüttete er ihr sein ganzes Herz aus. Zuvor war es ihm nie möglich gewesen, ihr zu sagen, wie vollständig ihn die Verehrung für sie erfüllte, so dass all seine Handlungen und Gedanken davon berührt waren. Er schrieb über ihre Zukunft, über das Glück, das vor ihnen lag, über die Dankbarkeit, die er ihr schuldete. Er fragte sich (wie er sich schon oft gefragt hatte, ohne es allerdings genau formulieren zu können), was genau an ihr ihn mit solch überschwenglichem Entzücken erfüllte; er wusste es nicht; er wusste nur, dass er glücklich war, wenn sie bei ihm war, und dass die Welt plötzlich grau und trübe wurde, wenn sie nicht da war; er wusste nur, dass sich in seiner Brust sein Herz weitete, wenn er an sie dachte, so dass er kaum atmen konnte (als presste es gegen die Lunge); es pochte heftig, so dass ihn das Glück ihrer Anwesenheit fast schmerzte; die Knie zitterten ihm, und er fühlte sich seltsam schwach, als fieberte er vor ungestilltem Hunger. Er wartete mit Sehnsucht auf ihre Antworten. Er erwartete nicht, dass sie häufig schrieb, denn er wusste, dass ihr das Briefeschreiben schwerfiel, und war ganz zufrieden mit den ungeschickten ihm – erhielt. Sie erzählte von der Pension, in der sie ein Zimmer hatte, vom Wetter und vom Baby, erzählte ihm, dass sie mit einer Freundin, die sie in der Pension kennengelernt hatte, einen Spaziergang unternommen habe, dass diese Dame sich ganz in das Kleine verliebt habe, dass sie am Samstag ins Theater gehen würde und dass immer mehr Leute nach Brighton kämen. Es rührte Philip, weil es so nüchtern war. Der verworrene Stil, die Förmlichkeit lösten in ihm den Wunsch aus, zu lachen, sie in die Arme zu nehmen und zu küssen.
    Er ging mit froher Zuversicht ins Examen. Die Aufgaben enthielten nichts, was ihm Schwierigkeiten bereitete. Er wusste, dass er sie gut gelöst hatte, und obwohl das mündliche Examen ihn ein bisschen nervös machte, gelang es ihm doch, die Fragen angemessen zu beantworten. Als das Ergebnis bekannt war, schickte er Mildred ein strahlendes Telegramm.
    Nach Hause zurückgekehrt, fand er einen Brief von Mildred, in dem sie ihm mitteilte, dass sie es für besser hielt, noch eine Woche länger bleiben. Sie hatte eine Frau ausfindig gemacht, die die Kleine gern für sieben Shilling die Woche in Pflege nehmen wollte; aber sie gedachte erst Nachforschungen über sie anzustellen, und ihr selbst tue die Seeluft so gut, dass ein paar Tage mehr sehr erholsam für sie wären. Sie hasse es, Philip um Geld zu bitten; aber würde er ihr bitte postwendend etwas zukommen lassen, da sie sich einen Hut habe kaufen müssen; sie könne nicht länger in dem alten mit ihrer Freundin herumlaufen, da die Freundin immer gut angezogen sei. Philip war einen Augenblick lang bitter enttäuscht. Es nahm ihm die ganze Freude an dem bestandenen Examen.
    ›Wenn sie mich nur ein Viertel so liebhätte wie ich sie, könnte sie es nicht ertragen, auch nur einen Tag länger wegzubleiben als nötig.‹
    Er wies den Gedanken schnell von sich, es war reine Selbstsucht; natürlich war ihre Gesundheit wichtiger als alles andere. Aber er hatte nun nichts zu tun, er könnte eigentlich die Woche mit ihr zusammen in Brighton verbringen, und dann könnten sie den ganzen Tag zusammen sein. Beim bloßen Gedanken daran machte sein Herz einen Sprung. Was für ein Spaß würde es sein, plötzlich vor Mildred zu erscheinen und ihr zu verkünden, dass er in der Pension ein Zimmer genommen habe! Er sah im Fahrplan nach. Er hielt mit einem Mal inne. Er war nicht ganz sicher, ob sie erfreut sein würde, ihn zu sehen. Sie hatte in Brighton Freunde gefunden; er war still, und sie hatte gern lärmende Lustigkeit. Er sah ein, dass sie sich mit andern besser amüsierte als mit ihm. Es würde ihn quälen, wenn er auch nur einen Augenblick lang spürte, dass er im Weg war. Das wollte er nicht riskieren. Er wagte es nicht einmal, ihr zu schreiben und ihr vorzuschlagen, dass er, da er in der Stadt nichts zu tun habe, die Woche in Brighton verbringen könnte, wo er sie täglich sehen könnte. Sie wusste schließlich, dass er nichts zu tun hatte; hätte sie gewünscht, dass er käme, so hätte sie es ihm gesagt. Er wollte den Schmerz nicht riskieren, den er zu ertragen hätte, wenn er ihr sein Kommen vorschlüge und sie nach Ausflüchten suchte, um ihn daran zu hindern.
    Er schrieb

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