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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Theater gehen, und er würde sie ins Varieté ausführen. Es würde ihr Spaß machen, seine Freunde kennenzulernen. Er hatte ihr von Cronshaw erzählt, sie würde ihn sehen, und dann war Lawson da – er war für ein paar Monate nach Paris gegangen –, und sie würden zum Bal Bullier gehen. Und Ausflüge: Sie würden nach Versailles, Chartres, Fontainebleau fahren.
    »Das wird aber eine Menge Geld kosten«, sagte sie.
    »Ach, was kümmert mich das! Wie sehr habe ich mir das schon immer gewünscht. Weißt du nicht, was das für mich bedeutet? Ich habe nie jemanden außer dir geliebt, und ich werde es nie tun.«
    Sie hörte seiner Begeisterung mit lächelnden Augen zu. Er glaubte, in ihnen eine neue Zärtlichkeit zu sehen, und war ihr dankbar dafür. Sie war viel sanfter als gewöhnlich. Sie hatte nicht mehr das anmaßende Wesen, das ihn so gereizt hatte. Sie hatte sich jetzt so an ihn gewöhnt, dass sie sich nicht mehr die Mühe gab, ihr Getue aufrechtzuerhalten. Sie bemühte sich nicht mehr, ihr Haar wie früher in künstlerischer Vollendung hochzustecken, sondern band es einfach zu einem Knoten zusammen. Sie trug die langen Ponyfransen nicht mehr wie früher; der etwas zwanglosere Stil stand ihr gut. Ihr Gesicht war so schmal, dass ihre Augen dadurch sehr groß erschienen; sie hatte dunkle Ringe darunter, deren Farbe noch durch die Blässe ihrer Wangen vertieft wurde. Ihr Blick hatte etwas Verloren-Sehnsüchtiges, was sehr rührend wirkte. Es schien Philip etwas Madonnenhaftes an ihr zu sein. Er wünschte nur, dass es immer so bleiben möge wie jetzt. Er war glücklicher, als er je in seinem Leben gewesen war.
    Er verabschiedete sich gewöhnlich abends gegen zehn Uhr; denn sie ging gern früh zu Bett, und er musste noch ein paar Stunden arbeiten als Ausgleich für den verlorenen Abend. Meistens bürstete er ihr das Haar, bevor er ging. Er hatte die Gutenachtküsse zu einem feierlichen Ritual gemacht: Erst küsste er ihr die Handflächen (wie dünn doch ihre Finger waren! Die Nägel waren schön; denn sie verbrachte viel Zeit damit, sie zu maniküren), dann küsste er sie auf die geschlossenen Augenlider, erst das rechte, dann das linke, und schließlich küsste er sie auf die Lippen. Er ging mit vor Liebe überfließendem Herzen nach Hause. Er sehnte sich nach Gelegenheiten, um sein verzehrendes Verlangen nach Selbstaufopferung zu befriedigen.
    Dann kam die Zeit, wo sie in das Entbindungsheim übersiedelte. Philip konnte sie dort nur am Nachmittag besuchen. Mildred änderte ihre Geschichte und gab sich als Frau eines Soldaten aus, der nach Indien zu seinem Regiment gegangen war, und Philip wurde der Dame, die das Unternehmen leitete, als Schwager vorgestellt.
    »Ich muss recht vorsichtig sein mit dem, was ich sage«, erzählte sie ihm, »weil nämlich noch eine Dame da ist, deren Mann in Indien bei der Zivilbehörde angestellt ist.«
    »Ich würde mir an deiner Stelle deswegen keine Sorgen machen«, sagte Philip. »Ich bin überzeugt, dass ihr Mann auf dem gleichen Schiff hinübergefahren ist wie deiner.«
    »Auf welchem Schiff?«, fragte sie einfältig.
    »Dem ›Fliegenden Holländer‹.«
    Mildred brachte ohne Schwierigkeiten eine Tochter zur Welt, und das Kind lag neben ihr, als Philip zum ersten Mal hineindurfte. Mildred war sehr schwach, aber doch erleichtert, dass es nun überstanden war. Sie zeigte ihm das Baby und sah selbst neugierig darauf nieder.
    »Es ist ein komisch aussehendes kleines Ding, nicht wahr? Ich kann gar nicht glauben, dass es von mir ist.«
    Es war rot, voller Runzeln und wunderlich. Philip lächelte, als er es betrachtete. Er wusste nicht recht, was er sagen sollte, und es machte ihn verlegen, dass die Pflegerin, der das Haus gehörte, neben ihm stand. Außerdem fühlte er an der Art, wie sie ihn ansah, dass sie Mildreds komplizierter Geschichte keinen Glauben schenkte und ihn für den Vater hielt.
    »Wie wirst du sie nennen?«, fragte er.
    »Ich kann mich noch nicht entscheiden, ob ich sie Madeleine oder Cecilia nennen soll.«
    Die Schwester ließ sie für ein paar Minuten allein, und Philip beugte sich nieder und küsste Mildred auf den Mund.
    »Ich bin so froh, Liebling, dass alles glücklich überstanden ist!«
    Sie legte ihre dünnen Arme um seinen Hals.
    »Du warst mir eine große Stütze, Philip!«
    »Jetzt fühle ich endlich, dass du mein bist. Ich habe so lange auf dich gewartet, meine Liebste!«
    Sie hörten die Schwester an der Tür, und Philip stand schnell auf. Die

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