Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
Vom Netzwerk:
Arbeit; ich war so müde, ich fühlte mich so elend. Ich erzählte ihm von meinem Mann. Er bot mir an, mir das Geld für die Scheidung zu geben, wenn ich ihn dann, sobald es möglich wäre, heiratete. Er hat eine sehr gute Stellung, und ich bräuchte nicht zu arbeiten, höchstens, wenn es mir Spaß machte. Er war so zärtlich zu mir und so um mich besorgt. Ich war schrecklich gerührt. Und jetzt habe ich ihn sehr, sehr lieb.«
    »Bist du jetzt also geschieden?«
    »Die Scheidung wird im Juli rechtskräftig, und dann heiraten wir gleich.«
    Eine ganze Weile lang sagte Philip nichts.
    »Ich wünschte, ich hätte mich nicht so dumm benommen«, murmelte er schließlich.
    Er dachte dabei an seine lange, beschämende Beichte. Sie sah ihn verwundert an.
    »Du warst niemals richtig in mich verliebt«, sagte sie.
    »Es ist keine sehr angenehme Sache, verliebt zu sein.«
    Aber er erholte sich stets schnell von etwas, das ihn traf; so stand er denn auf, reichte ihr die Hand und sagte:
    »Ich hoffe, du wirst sehr glücklich werden. Es ist schließlich das Beste, was dir geschehen konnte.«
    Sie sah ihn ein bisschen wehmütig an, als sie seine Hand nahm, und hielt sie fest.
    »Du wirst wiederkommen, nicht wahr?«, fragte sie.
    »Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Es würde mich zu eifersüchtig machen, dich glücklich zu sehen.«
    Langsam ging er von ihrem Haus weg. Schließlich hatte sie recht, wenn sie sagte, dass er sie nie geliebt hatte. Er war enttäuscht, sogar gereizt; aber es war weniger sein Herz als seine Eitelkeit, die dadurch berührt worden war. Er wusste es selbst. Und plötzlich kam ihm der Gedanke, wie die Götter ihm einen Schabernack gespielt hatten, und er lachte freudlos über sich selbst. Es ist nicht sehr behaglich, wenn man die Gabe hat, sich über seine eigene Dummheit lustig zu machen.
    80
     
    Während der nächsten drei Monate arbeitete Philip auf Gebieten, die ihm neu waren. Die unüberschaubare Menge von Studenten, die vor fast zwei Jahren die Medical School überschwemmt hatten, hatte sich gelichtet; manche waren verschwunden, weil sie die Examen schwieriger fanden, als sie erwartet hatten; manche waren von ihren Eltern wieder zurückgeholt worden, weil das Londoner Leben teurer war als vermutet, und manche waren in andere Berufe abgewandert.
    Einer der jungen Männer, die Philip gekannt hatte, hatte einen genialen Plan erdacht, zu Geld zu kommen; er hatte auf Versteigerungen verschiedene Dinge gekauft und sie dann verpfändet, bald aber hielt er es für einträglicher, Dinge zu verpfänden, die er mit Hilfe eines Kredits gekauft hatte; im Krankenhaus hatte es einige Aufregung gegeben, als jemand darauf hinwies, dass sein Name in den Akten des Polizeigerichts stehe. Es war zu einer Untersuchungshaft gekommen, dann zu Zusicherungen von Seiten eines beunruhigten Vaters, und der junge Mann war freigelassen worden, um in Übersee die ›Bürde des weißen Mannes‹ zu tragen. Ein anderer, ein Bursche, der nie zuvor in einer Stadt gewesen war, verfiel dem Zauber der Varietés und Bars; er verbrachte seine Zeit unter Rennsportlern, Tippgebern und Trainern und war nun bei einem Buchmacher angestellt. Philip hatte ihn einmal in einer Bar nahe Piccadilly Circus gesehen, mit einem engtaillierten Mantel und einem braunen Hut mit einer breiten, flachen Krempe. Ein Dritter, der mit seiner Nachahmung berühmter Komiker bei den Konzerten der Medical School Erfolg gehabt hatte, hatte das Krankenhaus verlassen, um sich dem Chor eines Vaudeville-Theaters anzuschließen. Und noch ein anderer – er hatte Philip interessiert, weil sein ungeschlachtes Betragen und seine Redeweise auf keinerlei tiefere Gefühlsregungen schließen ließen – hatte sich von den Londoner Häusern erdrückt gefühlt. Er bekam Platzangst, und seine Seele, von der er nicht wusste, dass er sie besaß, sträubte sich wie ein Spatz, der in der Hand gehalten wird – er schnappte erschreckt nach Luft, und sein Herz raste: Er sehnte sich nach dem weiten Himmel und den offenen, einsamen Orten, wo er seine Kindheit verbracht hatte; eines Tages ging er zwischen zwei Vorlesungen weg, ohne ein Wort; und das Nächste, was die Freunde von ihm hörten, war, dass er das Medizinstudium aufgegeben hatte und auf einem Bauernhof arbeitete.
    Philip besuchte nun Vorlesungen über Medizin und Chirurgie. An ein paar Vormittagen in der Woche übte er an ambulanten Patienten zu bandagieren, froh, dabei ein bisschen Geld zu verdienen. Man lehrte ihn, wie man

Weitere Kostenlose Bücher