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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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ärgerlich auf Norah; sie musste doch sehen, wie peinlich die Lage für ihn war; aber vielleicht wollte sie es ihm als Strafe auferlegen, und bei diesem Gedanken gewann er seine gute Laune zurück. Endlich aber schlug die Uhr sechs, und Kingsford erhob sich.
    »Ich muss gehen«, sagte er.
    Norah gab ihm die Hand und begleitete ihn nach draußen. Sie zog die Tür hinter sich zu und blieb ein paar Minuten fort. Philip fragte sich, worüber sie wohl miteinander sprachen.
    »Wer ist Mr.   Kingsford?«, fragte er fröhlich, als sie zurückkam.
    »Ach, das ist der Redakteur von einer der Harmsworth-Zeitschriften. Er hat in letzter Zeit eine Menge von mir gebracht.«
    »Ich dachte, er würde überhaupt nicht mehr gehen.«
    »Ich freue mich, dass du noch geblieben bist. Ich wollte gern noch mit dir sprechen.« Sie kuschelte sich in den großen Lehnstuhl, Füße und alles ganz klein zusammengerollt, und zündete sich eine Zigarette an. Er lächelte, als er sie die Haltung einnehmen sah, die ihn schon immer so amüsiert hatte.
    »Du siehst wie ein Kätzchen aus.«
    Sie sah ihn mit einem schnellen Blick aus ihren schönen dunklen Augen an.
    »Ich sollte es mir wirklich abgewöhnen. Es ist lächerlich, sich wie ein Kind zu benehmen, wenn man so alt ist wie ich, aber ich fühle mich so behaglich, wenn ich auf meinen Beinen sitze.«
    »Es ist furchtbar nett, wieder in diesem Zimmer zu sein«, sagte Philip glücklich. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich es vermisst habe.«
    »Warum, um Himmels willen, bist du dann nicht eher gekommen?«, fragte sie fröhlich.
    »Ich hatte Angst«, antwortete er errötend.
    Sie sah ihn mit einem Blick an, der voller Güte war. Auf ihren Lippen lag ein süßes Lächeln.
    »Das hättest du nicht gebraucht.«
    Er zögerte einen Augenblick. Das Herz schlug ihm schnell.
    »Erinnerst du dich an das letzte Mal, als wir uns trafen? Ich bin so schlecht zu dir gewesen. – Ich schäme mich fürchterlich.«
    Sie sah ihn ruhig an. Sie antwortete nicht. Er verlor den Kopf. Er schien mit einer Absicht gekommen zu sein, deren Ungeheuerlichkeit ihm erst jetzt voll aufging. Sie half ihm nicht, und so konnte er nur barsch herausplatzen:
    »Kannst du mir je verzeihen?«
    Dann erzählte er ihr ungestüm, dass Mildred ihn verlassen habe und dass sein Jammer so groß gewesen sei, dass er sich fast hatte das Leben nehmen wollen. Er erzählte ihr alles, was zwischen ihnen geschehen war, von der Geburt des Kindes und vom Zusammentreffen mit Griffith, seiner Verrücktheit, seinem Vertrauen und von dem ungeheuren Betrug. Er sagte ihr, wie oft er an ihre Liebe und Freundlichkeit gedacht habe und wie bitterlich er bedauert habe, sie von sich gestoßen zu haben. Er sei nur mit ihr glücklich gewesen, und er wisse jetzt, wie kostbar sie sei. Seine Stimme war heiser vor Erregung. Manchmal schämte er sich dessen, was er sagte, so sehr, dass er die Augen beim Sprechen auf den Boden heftete. Sein Gesicht war von Schmerz verzerrt, und dennoch spürte er während des Erzählens eine seltsame Erleichterung. Schließlich hatte er alles gesagt. Er warf sich erschöpft in den Stuhl zurück und wartete. Er hatte nichts verhüllt, ja er hatte sich sogar in seiner Selbsterniedrigung erbärmlicher gemacht, als er wirklich war. Er war überrascht, dass sie nicht sprach; schließlich hob er die Augen. Sie sah ihn nicht an. Ihr Gesicht war ganz bleich, und sie schien in Gedanken verloren.
    »Hast du mir gar nichts zu sagen?«
    Sie fuhr hoch und wurde rot.
    »Ich fürchte, du hast einen sehr schlechten Zeitpunkt gewählt«, sagte sie. »Es tut mir furchtbar leid.«
    Es schien, als wolle sie fortfahren, aber sie hielt an und wartete wieder. Schließlich schien sie sich zum Sprechen zu zwingen.
    »Ich bin mit Mr.   Kingsford verlobt.«
    »Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?«, schrie er. »Du hättest nicht zulassen dürfen, dass ich mich so vor dir erniedrige.«
    »Es tut mir leid. Ich konnte dich nicht unterbrechen… Ich habe ihn kennengelernt, kurz nachdem du…« – sie schien nach einem Wort zu suchen, das ihm nicht weh tun würde – »…mir gesagt hast, dass deine Freundin zurückgekommen sei. Ich war zuerst sehr unglücklich; er war außerordentlich nett zu mir. Er wusste, dass mir irgendwer weh getan hatte – natürlich weiß er nicht, dass du es warst –, und ich weiß nicht, was ich ohne ihn angefangen hätte. Und plötzlich hatte ich das Gefühl, dass ich nicht so weitermachen kann, nur Arbeit, Arbeit,

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