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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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müsse, und kündigte an, dass sie ihre Sachen aufs Leihhaus bringen würde, um zu ihm zu kommen – sie habe noch das Reisenecessaire, ihr Hochzeitsgeschenk von Philip, und dafür könne sie acht Pfund flüssig machen. Sie würde in dem Marktflecken, vier Meilen von dem Dorf entfernt, wo sein Vater praktizierte, wohnen. Das erschreckte Griffith, und diesmal telegrafierte auch er und teilte ihr mit, dass sie das unter keinen Umständen tun dürfe. Er versprach, sich sofort bei ihr zu melden, wenn er nach London zurückkäme. Als er das tat, hörte er, dass sie bereits im Hospital gewesen war, wo er seine neue Stellung hatte, um nach ihm zu fragen. Das gefiel ihm gar nicht, und als er sie sah, sagte er Mildred, dass sie unter keinen Umständen dort erscheinen dürfe; auch fand er jetzt, nach dreiwöchiger Pause, dass sie ihn ganz entschieden langweilte. Er wusste eigentlich nicht, warum er sich je mit ihr abgegeben hatte, und entschloss sich, sobald wie möglich mit ihr zu brechen. Er war jemand, der Streit hasste, auch mochte er anderen kein Leid bereiten, aber schließlich hatte er auch noch anderes zu tun und war fest entschlossen, sich von Mildred nicht belästigen zu lassen. Wenn er sie traf, war er freundlich, fröhlich, amüsant, zärtlich; er erfand überzeugende Ausreden für die langen Zeiten, die zwischen dem letzten Treffen und dem jetzigen lagen; aber er tat alles, um ihr aus dem Weg zu gehen. Wenn sie ihn dazu zwang, Verabredungen mit ihr zu treffen, so sagte er im letzten Moment per Telegramm ab, und seine Wirtin hatte die Weisung, wenn Mildred nach ihm fragte, zu sagen, er wäre aus. Sie lauerte ihm auf der Straße auf, und er sagte ihr ein paar nette, freundliche Worte, da er ja wusste, sie hatte stundenlang gewartet, dass er aus dem Krankenhaus käme, und eilte mit der Entschuldigung weg, er habe einen dringenden beruflichen Notfall. Er entwickelte ein besonderes Geschick, sich ungesehen aus dem Staub zu machen. Als er dann einmal um Mitternacht zu seinem Quartier zurückkam, sah er eine Frau am Gitter vor dem Haus stehen, und da er den Verdacht hatte, dass sie es sei, ging er zu Ramsden und bat ihn um ein Nachtlager; am nächsten Tag erzählte ihm seine Wirtin, dass Mildred stundenlang heulend auf dem Treppenabsatz gesessen habe, bis sie ihr endlich gesagt habe, sie werde leider die Polizei rufen müssen, wenn sie nicht ginge.
    »Ich kann dir nur gratulieren, mein Bester«, sagte Ramsden. »Sei froh, dass du die los bist. Harry sagt, wenn er auch nur halbwegs geahnt hätte, dass sie so verdammt lästig werden könnte, hätte er den Teufel getan, etwas mit ihr anzufangen.«
    Philip stellte sich vor, wie sie die langen Nachtstunden hindurch auf dem Treppenabsatz gesessen hatte. Er sah ihr Gesicht vor sich, wie sie die Wirtin, die sie wegschickte, stumpf ansah.
    »Und was tut sie jetzt?«
    »Ach, sie hat irgendwo eine Stellung, Gott sei Dank. Da ist sie wenigstens den ganzen Tag über beschäftigt.«
    Das Letzte, was er dann hörte, war, dass Griffiths Höflichkeit schließlich doch der Verärgerung über diese ständige Verfolgung nicht standgehalten hatte. Er hatte Mildred gesagt, dass er es satthabe, ständig belästigt zu werden, und sie solle gefälligst verschwinden und ihn in Ruhe lassen.
    »Es war das Einzige, was er tun konnte«, meinte Ramsden. »Es wurde allmählich zu bunt.«
    »Dann ist also alles aus?«, fragte Philip.
    »Er hat sie seit zehn Tagen nicht mehr gesehen. Harry versteht es großartig, Leute fallenzulassen. Das ist wohl die härteste Nuss, die er je zu knacken gehabt hat, aber er hat sie geknackt.«
    Dann hörte Philip überhaupt nichts mehr von ihr. Sie verschwand in der ungeheuren anonymen Masse der Menschen von London.
    81
     
    Zu Beginn des Wintersemesters kam Philip zu den ambulanten Ärzten. Drei Assistenzärzte hatten ambulante Patienten zur Behandlung, und Philip meldete sich bei Dr.   Tyrell an. Dr.   Tyrell war bei den Studenten beliebt, und es gab ziemliche Konkurrenz unter den Bewerbern. Dr.   Tyrell war ein großer, magerer Mann von fünfunddreißig Jahren, mit sehr kleinem Kopf, roten kurzgeschnittenen Haaren und hervorstehenden blauen Augen, sein Gesicht war leuchtend rot. Er sprach gut, mit angenehmer Stimme, machte gern kleine Witze und nahm die Welt auf die leichte Schulter. Er war ein erfolgreicher Mann mit einer großen Praxis und mit Aussicht auf einen Adelstitel. Durch den Umgang mit Studenten und armen Leuten hatte er einen etwas gönnerhaften Ton und

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